Ein wesentliches Merkmal der psychotherapeutischen Arbeit ist die vertrauensvolle, geschützte Beziehung zwischen Behandler*in und Patient*in. Innerhalb dieser gilt die gesprochene Sprache als wichtigstes Behandlungsinstrument. Durch die spezifische Wahl von Worten, Wortwendungen und Metaphern gewähren uns Patient*innen Einblicke in ihre Welten. Wenn Sprache als „Verkörperung des Seelenlebens“ betrachtet wird, dann folgt daraus, dass die eigene Muttersprache den unmittelbarsten Zugang zum emotionalen Erleben bietet [1]. Vor dem Hintergrund erhöhter Migrationsbewegungen verzeichnen wir einen stetig wachsenden Bedarf an psychotherapeutischer Behandlung in verschiedenen Muttersprachen, der aktuell nicht gedeckt ist. Diese Versorgungslücke kann durch den Einsatz von DolmetscherInnen verringert werden. Doch ist Psychotherapie unter Hinzunahme von Sprachmittler*innen möglich? Und was ändert sich dadurch für den therapeutischen Prozess?
Dolmetscher*in als Sprachrohr und kulturelle Brücke
Seit 2018 sammeln wir an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Ludwig-Maximilians-Universität München Erfahrungen im Einbezug von professionellen Sprachmittler*innen in die Psychotherapie bei Patient*innen mit Fluchterfahrungen [2], [3]. Die Sprachmittler*innen sind dabei sowohl Sprachrohr als auch kulturelle Brücke zu unseren Patient*innen. Bei der Auswahl der Dolmetscher*innen berücksichtigen wir das Geschlecht und die ethnischen Hintergründe von Patient*in und Sprachmittler*in. Die Patient*innen werden zu Beginn umfassend über die Schweigepflicht der Dolmetscherin/des Dolmetschers aufgeklärt – ein Aspekt, der insbesondere bei Opfern von Menschenrechtsverletzungen bedeutsam ist.
Zusammenfassung
Der Einsatz von Dolmetscher*innen in der Psychotherapie ermöglicht effektive und kultursensible Interventionen bei Patient*innen mit Migrations- und Fluchterfahrung. Die Möglichkeit, das eigene Erleben in der Muttersprache zu artikulieren, befähigt die Patient*innen, sich im Sinne eines Empowerment-Prinzips aktiv am therapeutischen Prozess zu beteiligen. Die Gesprächssituation zu dritt bringt jedoch auch Herausforderungen mit sich, weshalb eine klare Rollenverteilung notwendig ist.
Behandler*in, Patient*in und Dolmetscher*in sitzen in einem gleichschenkligen Dreieck. Auch eine Anordnung, in welcher der/die Sprachmittler*in versetzt hinter der Patientin/dem Patienten Platz nimmt, ist möglich und betont, dass die Therapeutin/der Therapeut Ansprechpartner im Gespräch ist. Es wird in einfachen, möglichst kurzen Sätzen gesprochen. Das Konsekutivdolmetschen, bei dem das Gesagte absatzweise nach 2–3 Sätzen übermittelt wird, hat sich in der Praxis bewährt. Es verlangsamt die Gesprächsdynamik und erleichtert es der Therapeutin/dem Therapeuten, sich auf nonverbales Verhalten zu konzentrieren und nachfolgende Interventionen zu planen. Das Dolmetschen in der Ich-Form fördert die Nähe zwischen Patient*in und Behandler*in und erleichtert der Dolmetscherin/dem Dolmetscher die unmittelbare Wiedergabe des Gesprochenen. Werden sehr emotionale oder traumatische Inhalte gedolmetscht, kann ein Wechsel in die indirekte Rede hilfreich sein. Dies unterstützt die Sprachmittlerin/den Sprachmittler bei der inneren Distanzierung von den wiedergegebenen Inhalten [4].
Die Finanzierung der Sprachmittlung, z. B. über die gesetzlichen Krankenversicherungen, würde einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, psychotherapeutische Angebote für Menschen mit Migrations- und Fluchterfahrungen zugänglicher zu machen.
Psychotherapie unter Einbezug von Dolmetscher*innen setzt klare Rollenverteilungen voraus. Mögliche Herausforderungen in der sprachgemittelten psychotherapeutischen Arbeit stellen Rollenkonfusionen, Parteilichkeit oder Rivalität dar. Mit der Dolmetscherin/dem Dolmetscher tritt eine zusätzliche Fachperson in den therapeutischen Raum ein, die häufig soziale und biografische Gemeinsamkeiten mit der Patientin/dem Patienten aufweist. Dies kann aufseiten der Therapeutin/des Therapeuten zu Verunsicherungen führen und setzt eine fortdauernde Reflexion der eigenen Rolle und der Beziehungskonstellationen voraus [1].
Vorteile sprachgemittelter Psychotherapie
Eine sprachgemittelte Psychotherapie ist für alle Beteiligten anspruchsvoll und bietet gleichzeitig einen großen Nutzen. Sie baut Kommunikationsschwierigkeiten als eine der wesentlichen Zugangsbarrieren zu Behandlungsangeboten ab und ermöglicht den effektiven und kultursensiblen Einsatz von Interventionen bei Patient*innen, deren Sprache wir nicht sprechen. Die Möglichkeit, das eigene Erleben in der Muttersprache zu artikulieren, stärkt das Selbstvertrauen der PatientInnen und befähigt sie, sich im Sinne eines Empowerment-Prinzips aktiv am therapeutischen Prozess zu beteiligen. In dieser Hinsicht ist es erfreulich, dass in den vergangenen Jahren zunehmend spezialisierte Dolmetscherdienste aufgebaut wurden. Die Kosten für die Sprachmittlung werden im ambulanten Einsatz in der Regel von den Patient*innen selbst oder von gemeinnützigen Organisationen getragen. In der stationären Versorgung obliegt die Kostenübernahme den Kliniken. In der gesetzlichen Krankenversicherung ist eine Rechtsgrundlage für die Übernahme von Dolmetscherkosten nicht vorgesehen. Ein Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) entschied bereits 1995: Die Dolmetscherleistung „ist nicht Teil der ärztlichen Behandlung, weil der Arzt sie aufgrund seines ärztlichen Fachwissens weder leiten noch kontrollieren und somit auch nicht verantworten kann“. In einem Urteil aus dem Jahr 2006 bekräftigte das BSG, dass die Hinzuziehung einer Dolmetscherin/eines Dolmetschers im Rahmen einer ambulanten Krankenbehandlung nicht zum Leistungsumfang einer ausreichenden zweckmäßigen und wirtschaftlichen Versorgung gehöre. Die Folge dessen ist, dass psychotherapeutische Behandlungen unter Hinzunahme von professionellen SprachmittlerInnen kaum durchgeführt werden. Eine stabile Finanzierungsgrundlage für die Sprachmittlung, z. B. über gesetzliche Krankenkassen, würde einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, psychotherapeutische Angebote für Menschen mit Migrations- und Fluchterfahrungen zugänglicher zu machen. Wir gehen sogar davon aus, dass diese die Versorgung substanziell verbessern würde und letztlich auch kosteneffektiver wäre.
Autorin
M. Sc. Maren Wiechers
Psychologin
Interessenkonflikt: Die Autorin gibt an, dass kein Interessenskonflikt besteht.
- Morina N, Maier T, Mast M. Lost in translation? Psychotherapie unter Einsatz von Dolmetschern. Psychotherapie – Psychosomatik – Medizinische Psychologie 2010; 60 3/4 104-110
- Böge K, Karnouk C, Hahn E. et al Mental health in refugees and asylum seekers (MEHIRA): Study design and methodology of a prospective multicentre randomized controlled trial investigating the effects of a stepped and collaborative care model. European Archives of Psychiatry and Clinical Neuroscience 2020; 270 (01) 95-106
- Wiechers M, Übleis A, Padberg F. Empowerment für Menschen mit affektiven Erkrankungen und Fluchterfahrungen. Stuttgart: Schattauer; 2019
- Abdallah-Steinkopff B. Zusammenarbeit mit Dolmetschern. In: Liedl A, Böttche M, Abdallah-Steinkopff B, Knaevelsrud C, Hrsg. Psychotherapie mit Flüchtlingen. Stuttgart: Schattauer; 2017: 90-107