Die knappe Verfügbarkeit von Organtransplantaten in Deutschland wirft zunehmend Fragen zur gerechten Verteilung von Spenderorganen auf. Trotz jahrzehntelanger Anwendung der bestehenden Allokationsregeln der Eurotransplant International Foundation wurde deren praktische Auswirkung bislang nicht ausreichend untersucht.
Eine Studie des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein (UKSH) hat die tatsächlichen Konsequenzen dieser Regelungen untersucht und dabei problematische Ungerechtigkeiten aufgedeckt.
Altersgrenzen als kritischer Faktor
Die Studie zeigt deutlich:
- Die festgelegten Altersgrenzen bei 18 und 65 Jahren haben erhebliche Auswirkungen auf die Wartezeiten für Nierentransplantationen.
- Diese Ungleichheiten führen zu ethischen und rechtlichen Fragen hinsichtlich der Fairness der aktuellen Verteilungsregeln.
Beispiele für Ungleichheiten in der Transplantationspraxis
Ein Beispiel aus der Studie verdeutlicht die Problematik: Zwei Jugendliche werden im Alter von 16 Jahren dialysepflichtig. Einer von ihnen wird aufgrund des sogenannten pädiatrischen Bonus noch vor seinem 18. Geburtstag transplantiert. Der andere jedoch erreicht sein 18. Lebensjahr ohne Transplantation, verliert dadurch seine Zusatzpunkte und muss durchschnittlich 5 Jahre länger auf eine Niere warten.
Diese sprunghaften Unterschiede in der Wartezeit sind ein zentrales Ergebnis der Studie und werfen Fragen nach der Angemessenheit der Altersgrenzen auf.
Signifikante Unterschiede in den Wartezeiten
Die Analyse von 19.664 Nierentransplantationen aus dem nationalen Transplantationsregister zeigt signifikante Unterschiede in den Wartezeiten je nach Altersgruppe:
- Patient*innen unter 18 Jahren warten im Durchschnitt 1,7 Jahre auf eine Transplantation.
- 18- bis 64-Jährige müssen im Schnitt 7 Jahre warten.
- Ab 65 Jahren verkürzt sich die Wartezeit auf 3,8 Jahre.
Besonders auffällig ist der sprunghafte Anstieg der Transplantationsrate bei 65-Jährigen im Vergleich zu 64-Jährigen. Dieser Trend hat sich in den letzten Jahren weiter verstärkt: Die Differenz in der Wartezeit zwischen unter und über 65-Jährigen stieg von 2,6 Jahren (2006–2010) auf 4,1 Jahre (2017–2020).
Ethische und rechtliche Implikationen
Die Untersuchung wirft ethische und rechtliche Fragen auf, insbesondere im Hinblick auf die Vorgaben des Transplantationsgesetzes, das Dringlichkeit und Erfolgsaussicht bei der Organvergabe in den Vordergrund stellt. Die Studie zeigt, dass die aktuellen Regeln diese Anforderungen möglicherweise nicht vollständig erfüllen, da scharfe Altersgrenzen und sprunghafte Veränderungen der Wartezeiten weder medizinisch sinnvoll noch gerechtfertigt erscheinen.
Forderung nach Reformen
Prof. Dr. Roland Schmitt, Direktor der Klinik für Innere Medizin IV vom UKSH, betont die Bedeutung der Studienergebnisse für zukünftige Reformen in der deutschen Transplantationsmedizin. Eine gerechte und transparente Verteilung der verfügbaren Organe ist entscheidend, um den bestmöglichen Weg in die Zukunft zu finden.
Quelle: Universitätsklinikum Schleswig-Holstein