
Mangelernährung in deutschen Krankenhäusern betrifft jeden vierten bis fünften Patienten und bleibt oft unbehandelt. Mit fatalen Folgen:
Die Sterblichkeit mangelernährter Patient*innen ist um das Dreifache erhöht. Die stationären Mehrkosten belaufen sich jährlich auf bis zu 8,6 Milliarden Euro.
Die systematische Erfassung und Behandlung mangelernährter Patient*innen durch Ernährungsteams in Kliniken würde Kosten sparen und könnte Todesfälle vermeiden helfen. Das berichteten Expert*innen auf einer Pressekonferenz anlässlich der Malnutrition Awarness Week.
Was sind die Herausforderungen?
Jährlich rund 50.000 Todesfälle in Krankenhäusern wären durch gute, bedarfsgerechte Ernährung vermeidbar, berichtete der Endokrinologe und Ernährungsmediziner Prof. Matthias Pirlich. Die Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin (DGEM) fordert verpflichtende Maßnahmen zur Bekämpfung der Mangelernährung.
Die Lösungsansätze liegen vor. Auch an Fachkräften mangele es nicht. Prof. Diana Rubin von den Vivantes Kliniken Berlin ergänzt: Man müsse sich strategisch für das Thema Ernährung entscheiden. Rubin ist Chefärztin am Zentrum für Ernährungsmedizin und Diabetologie an den Vivantes Kliniken Berlin. Mit ihrem Team setzt sie dort bereits eine strukturierte Ernährungsdiagnostik und -therapie erfolgreich um.
Die größte Herausforderung liegt im Kostendruck, sind sich die Ernährungsexpert*innen einig. 80 % der deutschen Kliniken schreiben rote Zahlen. Und die Ernährungsteams kosten zunächst zusätzlich Geld.
Pirlich konstatiert allerdings: Es sei genügend Geld da. Durch gute Ernährungsmedizin spare die Gesellschaft zusätzliche Behandlungskosten, die durch Mangelernährung entstehen.
5 Euro täglich pro Patient*in
Eine weitere Herausforderungen ist die Qualität der Krankenhausverpflegung. Aktuell belaufen sich die täglichen Ausgaben für die Verpflegung eines Patienten im Schnitt auf 5 bis 6 Euro.
„Eine qualitativ hochwertige Ernährungsversorgung kann so kaum gewährleistet werden. Wir brauchen klare Verpflegungsstandards und eine solide finanzielle Grundlage für die Klinikkost“, so Prof. Gert Bischoff vom Münchner Zentrum für Ernährungsmedizin und Prävention.
Mangelernährung: Zahlen und Fakten
In Deutschland sind 20 bis 30 Prozent aller Krankenhauspatient*innen mangelernährt. Insbesondere Ältere sowie Menschen mit chronischen oder schweren Erkrankungen leiden darunter. Dr. med. Matthias Pirlich benennt klar die Folgen. Demnach führt Mangelernährung im Krankenhaus zu:
- Komplikationen in der Behandlung
- verminderter Lebensqualität bei den Betroffenen
- steigender Verweildauer im Krankenhaus
- massiv höheren Behandlungskosten
Die stationäre Verweildauer steigt bei mangelernährten Patient*innen um über 40 Prozent. „Im Jahr 2023 belaufen sich die Mehrkosten durch Mangelernährung auf bis zu 8,6 Milliarden Euro. Diese Zahlen machen deutlich, dass Mangelernährung für das Gesundheitssystem eine erhebliche Belastung darstellt“, so Pirlich.
Mangelernährung wirkt sich direkt auf die Gesundheit der Betroffenen aus:
- Mangelernährung schwächt das Immunsystem,
- führt zu einem Verlust der Muskelmasse und
- verlängert die Genesungszeit.
Bei Menschen im Krankenhaus sind diese Auswirkungen besonders fatal: Schätzungen zufolge sterben jedes Jahr rund 200.000 mangelernährte Patient*innen.
Lösungsansätze liegen vor
„Ein systematisches Ernährungsmanagement könnte jährlich rund 55.000 Todesfälle vermeiden“, sagt Pirlich. Eine individuell angepasste Ernährungstherapie hat zudem das Potenzial, die Gesamtkosten der Behandlung zu senken, da weniger Komplikationen und Wiederaufnahmen ins Krankenhaus auftreten. „Mangelernährung ist kein unvermeidliches Schicksal. Durch gezielte Maßnahmen können wir das Problem an der Wurzel bekämpfen und den Betroffenen zu einer besseren Lebensqualität verhelfen“, ergänzt der Ernährungsmediziner Dr. Gert Bischoff.
Um die dramatischen Folgen der Mangelernährung in Deutschland einzudämmen, setzt die DGEM auf verpflichtende Maßnahmen. Seit Januar 2024 gibt es erstmals Qualitätsverträge für Krankenhäuser, die in Kooperation mit Krankenkassen umgesetzt werden können. Bischoff sieht darin eine große Chance: „Diese Qualitätsverträge ermöglichen es, die Versorgung der Patient*innen signifikant zu verbessern und ein Ernährungsteam zu finanzieren. Leider nutzen bisher nur wenige Kliniken diese Möglichkeit, da die strukturellen Voraussetzungen fehlen.“
Bischoff fordert, dass alle Krankenhäuser verpflichtend über qualifizierte Ernährungsteams verfügen sollten, um flächendeckend die Versorgung sicherzustellen.
Quelle: Pressekonferenz der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin/Malnutrition Awareness Week 2024