Die Essstörung Anorexia nervosa betrifft v.a. junge Frauen und ist für Patient*innen und Therapeut*innen gleichermaßen eine Herausforderung. Ein neues Forschungsprojekt am Universitätsklinikum Tübingen untersucht den Einsatz von Virtual Reality (VR), um die Therapie zu verbessern und die Angst vor Gewichtszunahme zu reduzieren.
VR als Teil der Behandlung von Magersucht
Anorexia nervosa ist durch starkes Untergewicht, Angst vor Gewichtszunahme und eine verzerrte Körperwahrnehmung gekennzeichnet. Ein zentrales Ziel der Behandlung ist es, das gefährliche Untergewicht zu beheben. „Für einen Langzeiterfolg ist jedoch die Therapie der Ängste vor Gewichtszunahme entscheidend“, erklärt Professorin Katrin Giel, Leiterin der translationalen Psychotherapieforschung in Tübingen. Hier setzt VR als ergänzende Expositionstherapie an, indem Betroffene erleben, wie sie mit einem gesunden Gewicht aussehen könnten.
Simulation einer gesunden Gewichtszunahme
Die VR-Therapie startet mit einer Vorbesprechung und einem Fragebogen zur Erhebung des aktuellen Körperbilds. Anschließend setzen die Patientinnen eine VR-Brille auf, mit der sie sich in einem virtuellen Raum in zwei bodentiefen Spiegeln betrachten. „Wir legen mit der Patientin gemeinsam fest, welchen normalgewichtigen Body Mass Index (BMI) ihr virtueller Körper haben soll“, so Giel. Die wiederholte Konfrontation mit einem gesunden Körperbild hilft den Patientinnen, ihre Angst vor einer Gewichtszunahme zu überwinden.
Eintauchen in die virtuelle Realität
Der Erfolg der Therapie hängt von der Immersion ab, also dem vollständigen Eintauchen in die virtuelle Welt. „Die Patientinnen haben das Gefühl, sich selbst zu sehen und nicht nur einen Avatar“, beschreibt Giel den Effekt. Erste Studienergebnisse sind vielversprechend: „Immersion und Exposition mit Normalgewicht führen bei vielen Patientinnen zu einer Abnahme der Angst vor Gewichtszunahme“, erklärt Giel.
Potenzieller Einsatz auch bei anderen Essstörungen
Obwohl das Tübinger Team derzeit nur Patientinnen mit Anorexia nervosa behandelt, könnte der Einsatz von VR auch für andere Essstörungen wie Bulimie nützlich sein. Zudem sei der Ansatz auch für stark übergewichtige Menschen denkbar, um zu motivieren und ein Bild des Körpers nach einer Gewichtsreduktion zu simulieren.
Diskussion auf dem ICPM-Weltkongress
Beim ICPM-Weltkongress für Psychosomatik, der im September 2024 in Tübingen stattfindet, werden neue Therapieansätze wie der Einsatz von VR zur Behandlung von Körperbildstörungen vorgestellt.
Quelle: Universitätsklinikum Tübingen
- https://www.bzga-essstoerungen.de/was-sind-essstoerungen/wie-haeufig-sind-essstoerungen/#:~:text=Die%20Magersucht%20hat%20ihren%20Beginn,sp%C3%A4teren%20Jugendalter%20und%20jungen%20Erwachsenenalter. (abgerufen am 04.09.2024)
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