Inhalt
Der spontane Griff zu den Süßigkeiten oder in den Kühlschrank: Plötzlicher Heißhunger hat schon so einige ausgeklügelte Diätpläne durchkreuzt. Denn oft wird zu hochkalorischen, süßen und fetten Speisen gegriffen.
Bleiben die Fragen: Woher kommt der Heißhunger? Und wie können wir damit umgehen?
Stress als Auslöser
Studien zeigen, dass Stresssituationen die Lust auf ungesunde Nahrung verstärken können. Vor allem chronischer (negativer) Stress scheint eine Zügelung des Essens zu blockieren. Er beeinflusst die Regulation der Botenstoffe und Hormone im Gehirn. Der Hypothalamus ist dabei die zentrale Schaltstelle für das Hormonsystem und die Emotionen. Der eigene Lebensstil ist demnach wegweisend zur Prävention und zum Umgang mit Heißhunger.
Unser Wohlbefinden beeinflusst unser Gehirn und die neuronalen Strukturen – was wiederum direkten Einfluss auf den Energie-, Fett-, und Zellstoffwechsel hat. Bei Stress werden die Energiereserven mobilisiert und die Hormone Cortisol und Adrenalin ausgeschüttet. Das Hormon Cortisol beeinflusst unser Essverhalten - unter Stress kann so ein stärkeres Hungergefühl auftreten. Und hier gehen die Gelüste häufig in Richtung Kohlenhydrate – da unser Körper die enthaltene Glukose rasch in Energie umwandeln kann.
Die Zufuhr von hochkalorischer Nahrung ist in Stresssituationen kurzfristig positiv zu sehen: Aus evolutionärer Sicht kann man so z.B. schneller reagieren.
Im Falle von chronischem Stress können die übermäßige Nahrungszufuhr und die fehlende Appetithemmung jedoch ins ungesunde Gegenteil umschlagen. Da die kalorienreiche Nahrung auch die Dopaminfreisetzung anregt, wird im Gehirn ein Belohnungseffekt ausgelöst. Hochkalorisches (süße und fettreiche Nahrung) ruft durch die höhere Dopaminausschüttung ein Glücksgefühl hervor. Wird dauerhaft zu viel Süßes und Fetthaltiges verspeist, wirkt dies auf die Hormone Insulin und Leptin, die für die Appetitzügelung notwendig sind. Langfristig speichert der Körper dann den Überschuss an Kalorien als Fettdepot. Ein bedenklicher Kreislauf beginnt.
Bei Stress gilt es die Ursachen herauszufinden und zu meiden bzw. zu reduzieren. Das kann die Hormonsysteme bereits positiv regulieren.
Psyche & soziales Umfeld
Essen ist eng mit den Emotionen verbunden. Sie werden meist in der Kindheit geprägt, z.B. der süße Geschmack der Muttermilch mit der Nähe zur Mutter, das gemeinsame Essen im Kreise der Familie oder das Dessert zur Belohnung. Diese Muster wiederholen sich im späteren Leben – Schokolade dient dann z.B. als Trostspender, Belohnung, Beruhigungsmittel und vermittelt Geborgenheit.
Gelegentliches übermäßiges Essen ist normalerweise kein Grund zur Sorge. Emotionales Essen nach einer Trennung fällt z.B. in diese Kategorie. Beschäftigt man sich jedoch übermäßig mit Essen oder dem Gewicht, fühlt sich bei der Auswahl von Lebensmitteln schuldig oder ernährt man sich restriktiv, empfiehlt sich professionelle Unterstützung.
Anstatt Diäten zu befolgen, bei denen ganze Lebensmittelgruppen eliminiert oder die Kalorienaufnahme deutlich reduziert wird, ist der Fokus auf gesundheitsförderliche Verbesserungen wichtig. Wenn das Gefühl von Heißhunger auftaucht, hilft es auch, ein Gespräch mit einem vertrauten Menschen zu suchen. Das kann dazu beitragen, die Wahrscheinlichkeit einer übermäßigen Nahrungsaufnahme zu verringern.
Studien zeigen, dass ein positives soziales Unterstützungssystem die Auswirkungen von Stress mindert und dadurch das Risiko anderer Bewältigungsgewohnheiten wie emotionales Essen einschränken kann.
Schlaf, Entspannung & Bewegung
Stress, psychische Belastungen und Schlafmangel können Hungergefühle provozieren. Ausreichend Schlaf und Entspannung helfen hingegen Heißhungerattacken zu verringern. An den meisten Tagen der Woche sollte darum ausreichend Schlaf eingeplant werden.
Die Einführung eines neuen Trainings oder die Steigerung der körperlichen Aktivität kann auch dazu beitragen, übermäßiges Essen zu verhindern. Untersuchungen deuten darauf hin, dass Bewegung den Stresslevel senken und die Stimmung verbessern kann. Laufen, Schwimmen und Radfahren sind nur wenige Beispiele für die verschiedene Formen körperlicher Aktivität, die im Alltag integriert werden können. Yoga umfasst z.B. Atemübungen, Körperhaltungen und Meditationen, die Stress abbauen und die Entspannung fördern können.
Ein fester Rhythmus für Schlafen, Bewegung, Entspannung und Essen sind sehr wichtig. Denn auch das Auslassen von Mahlzeiten kann zu Heißhungerattacken führen.
Unausgewogener Ernährungsstil
Womit wir bei der Ernährung angelangt wären. Ist der Körper nicht ausreichend mit Vitaminen und Mineralstoffen versorgt, können Heißhungerattacken entstehen. Einseitige Ernährung ist kontraproduktiv. Meist gehen damit auch Gewichtszunahmen einher, die das Risiko für Stoffwechselerkrankungen erhöhen. Wird Cortisol z.B. dauerhaft ausgeschüttet, führt dies zu einer Einschränkung der Insulinwirkung. Das wiederum begünstigt die Entstehung von Typ-2-Diabetes.
Auch ein Mangel an B-Vitaminen kann zu Stressreaktionen führen und damit auch zu Essattacken. In Bananen, grünem Gemüse, Avocados und Joghurt sind u.a. nennenswerte Mengen dieser Vitamine vorhanden.
Essattacken vorbeugen
Um Essattacken vorzubauen, ist es ratsam:
- Kohlenhydrate zu verzehren, die langsam abgebaut werden – darunter Vollkornprodukte, Gemüse oder Hülsenfrüchte.
- Eine erhöhte Ballaststoffaufnahme (Obst, Gemüse, Hülsenfrüchte, Vollkornprodukte) kann Heißhungerattacken und den Appetit reduzieren.
- Proteinreiche Lebensmittel sorgen dafür, dass man länger satt bleibt und den Appetit unter Kontrolle behält.
- Am besten wird in jede Mahlzeit mindestens eine Proteinquelle wie Fleisch, Eier, Nüsse, Samen oder Hülsenfrüchte eingebaut.
Ernährungsalltag beginnt im Supermarkt
Um Heißhungerattacken mit hochkalorischen Lebensmitteln zu vermeiden, empfiehlt es sich, niederkalorische Lebensmittel einzukaufen und zu lagern. Die Grundlage für einen entspannten Ernährungsalltag beginnt im Supermarkt. Hier sollte der Fokus auf einer ausgewogenen Vielfalt mit reichlich Obst und Gemüse, hochwertigen Proteinen und Fetten (mediterrane Ernährungsweise) liegen.
Das übermäßige Aufbewahren und Lagern von Nahrung z.B. in Schränken und im Kühlschrank am besten meiden, um die ständige Verfügbarkeit von Lebensmitteln (wie hochkalorische Snacks) einzuschränken. Beim Essen ist es wichtig, auf das eigene Hungergefühl zu achten und eine gewisse Regelmäßigkeit der Mahlzeiten einzuhalten. Auch die ausreichende Flüssigkeitsaufnahme wirkt vorbeugend – am besten über den Tag verteilt ausreichend Wasser trinken.
Je ausgewogener die Ernährung und je ausgeglichener der Flüssigkeitshaushalt, desto geringer sind die Gelüste nach speziellen Lebensmitteln.
Gesunde Alternativen
Für die meisten Lebensmittel, auf die man Heißhunger verspürt, gibt es gesündere Alternativen. Ist die Lust auf Schokolade groß, kann ein Bedarf an Magnesium und Glukose dahinterstecken. Gesündere Alternativen sind hier z.B. Bananen, Haferflocken, Linsen, Feigen, Kerne oder ungesalzene Nüsse. Auch der hohe Kakaoanteil in dunkler Schokolade enthält größere Mengen an Magnesium.
Entsteht ein starkes Verlangen nach Salzigem, kann ein Bedarf an Natrium bestehen. Salzige Snacks wie Chips können hier z.B. durch Oliven und Seefisch ersetzt werden.
Stehen fettige Lebensmittel auf der Heißhungerliste, empfiehlt es sich gesunde Fetten wie Omega-3-Fettsäuren, zu verzehren. Diese finden sich in hochwertigen Ölen wie Leinöl oder Olivenöl, in Leinsamen, Avocados aber auch in fettreichem Seefisch wie Hering, Lachs oder Makrele. Auch Bitterstoffe, Kräuter wie Pfefferminze, Ingwer oder die Schärfe von Chilis verringern können den Appetit verringern.
Generell gilt: Eine vorausschauende Planung kann helfen, dass genügend gesunde Zutaten vorhanden sind, um nahrhafte und ausgewogene Mahlzeiten zuzubereiten.
Achtsamkeit
Achtsamkeit bedeutet, auf den Körper zu hören und darauf zu achten, wie man sich gerade fühlt. Zum Beispiel spürt man in sich hinein und bemerkt, wenn man keinen Hunger mehr hat. Dadurch kann man das eigene Essverhalten entsprechend anpassen. Auch langsames Essen kann dabei helfen zu erkennen, wann der Hunger nachlässt.
Sich Zeit zum Essen zu nehmen, spielt dem natürlichen Sättigungsgefühl auch in die Hände – denn das setzt erst nach etwa 10 Minuten ein.
Erkrankungen
Heißhungerattacken können auch ein Indiz für eine Erkrankung sein. Wie etwa ein nicht hinreichend eingestellter Blutzucker bei Diabetikern (Unterzuckerung führt zu Heißhunger), eine Schilddrüsenüberfunktion, Lebererkrankungen, Alkoholabhängigkeit oder Tumorerkrankungen. Auch Essstörungen sind häufig mit Essattacken verbunden.
In jedem Fall ist ärztlicher Rat gefragt, um die Ursache herauszufinden. Wichtig ist auch der Einfluss von Medikamenten. Bei einer Depression geht die Einnahme von Medikamenten z.B. meist mit einer Gewichtszunahme einher.
Binge-Eating
Übermäßiges Essen ist nicht dasselbe wie eine Binge-Eating-Störung. Betroffene nehmen regelmäßig (wiederkehrende) übermäßig große Mengen (wahllose) Nahrung zu sich und verspüren dabei das Gefühl, die Kontrolle über die Essensaufnahme zu verlieren. Nach dem Essen fühlen sie sich oft schuldig oder schämen sich. Die Betroffenen versuchen jedoch nicht, wie bei anderen Essstörungen, durch Erbrechen, Abführmittel oder Extremsport die überschüssigen Kalorien loszuwerden. Hunger, Sättigung und Genuss treten in den Hintergrund.
Für die Binge-Eating-Störung werden genetische Ursachen vermutet. Auch die Verbindung mit weiteren psychischen Symptomen wie Depressionen und Angstzuständen wird diskutiert.
Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Psychiatrie haben im Tierexperiment herausgefunden, dass Stress während der Schwangerschaft den Hypothalamus des Fötus epigenetisch verändern kann. Aber nicht muss. Diese pränatale Programmierung tritt jedoch nur in Kraft, wenn in der Pubertät spezielle Auslöser vorhanden sind.
Weitere Forschende konnten zeigen, dass Heißhungerattacken durch eine ausgewogene Diät unterbunden werden konnten. Dies könnte auch ein Konzept bei Heranwachsenden mit einer solchen Prägung sein.
- Andersen T et al. How Digital Food Affects Our Analog Lives: The Impact of Food Photography on Healthy Eating Behavior. Front Psychol 2021; 12
- Carlos LO et al. Probiotic supplementation attenuates binge eating and food addiction 1 year after roux-en-y gastric bypass: a randomized, double-blind, placebo-controlled trial. Arq Bras Cir Dig 2022; 35:1659
- Dingemans A et al. Emotion Regulation in Binge Eating Disorder: A Review. Nutrients 2017; 9 (11): 1274
- Iacovino JM et al. Psychological treatments for binge eating disorder. Curr Psychiatry Rep 2012; 14 (4): 432-446
- Mason TB et al. Examining social support, rumination, and optimism in relation to binge eating among Caucasian and African-American college women. Eat Weight Disord 2017; 22 (4):693-698
- Roberts KJ et al. Beyond Binge Eating: The Impact of Implicit Biases in Healthcare on Youth with Disordered Eating and Obesity. Nutrients 2023; 15 (8): 1861
- Schroeder M et al. A Methyl-Balanced Diet Prevents CRF-Induced Prenatal Stress-Triggered Predisposition to Binge Eating-like Phenotype. Cell Metab 2017; 25 (6): 1269-1281
Autorin
Johanna Zielinski ist Diplom-Ökotrophologin (Ernährungswissenschaften) und absolviert derzeit eine Weiterbildung im Bereich Psychologie. Journalistische Stationen erfolgten beim WDR sowie einem privaten Radiosender. Sie ist als Ernährungsberaterin sowie als freie Autorin und Sprecherin tätig.