OnkologieDer Nutzen von Cannabis in der Krebstherapie

Cannabis und Cannabinoide kommen in der Palliativversorgung häufiger zum Einsatz. THC und CBD besitzen krebshemmende Eigenschaften. Wie ist die klinische Datenlage?

Inhalt
Hand umfasst Hanfpflanze
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Cannabis-basierte Medikamente haben therapeutisches Potenzial, zeigen erste klinische Daten.

Zusammenfassung

Cannabis und Cannabinoide können bei der Palliation einer Anzahl von krebsassoziierten Symptomen hilfreich sein, darunter Appetitlosigkeit mit Gewichtsverlust, Übelkeit und Erbrechen, Schmerzen, Schlafstörungen und Depressionen. Einige dieser Indikationen gelten heute als etabliert. In der Grundlagenforschung wurde darüber hinaus nachgewiesen, dass eine Anzahl von Cannabinoiden, darunter THC (Dronabinol) und CBD (Cannabidiol), krebshemmende Eigenschaften besitzen. Es gibt Belege für eine Anzahl von Wirkmechanismen, darunter die Hemmung der Tumorzellproliferation, die Auslösung von Apoptosen und Autophagie, die Hemmung der Tumorinvasion und der Bildung von Metastasen, der Angioneogenese und der Chemoresistenz. Cannabinoide könnten auch vor einigen zytostatikabedingten Schäden schützen, darunter vor der Entwicklung einer peripheren Neuropathie. Allerdings wurden in einzelnen Untersuchungen auch krebsfördernde Eigenschaften von Cannabinoiden beobachtet. Die klinische Datenlage ist bisher sehr limitiert. Es gibt eindrucksvolle Fallberichte über eine erfolgreiche Krebstherapie mit CBD und THC sowie einige epidemiologische Studien und wenige klinische Daten, die ein therapeutisches Potenzial von cannabisbasierten Medikamenten unterstützen.

Ende der 1980er-Jahre begann die Erforschung eines neuen Kommunikationssystems mit spezifischen Bindungsstellen für Cannabinoide (Cannabinoid-Rezeptoren) und körpereigenen Cannabinoiden (Endocannabinoiden). Seit Mitte der 1960er-Jahre waren die wichtigsten Cannabinoide der Hanfpflanze chemisch charakterisiert und ihre Pharmakologie erforscht worden. Ab Mitte der 1970er-Jahre wurden erste kontrollierte klinische Studien mit dem Cannabiswirkstoff THC und synthetischen THC-Derivaten (Nabilon, Levonantradol) vor allem zur Untersuchung der Wirksamkeit gegen Nebenwirkungen der Krebschemotherapie durchgeführt [19]. Im Jahr 1976 beschrieben Regelson und Kollegen Appetit steigernde und antidepressive Eigenschaften bei Patienten mit chronischen Krebserkrankungen [18]. Im gleichen Jahr wiesen Munson et al. erstmals krebshemmende Eigenschaften natürlicher Cannabinoide, darunter THC (Dronabinol, Delta-9-Tetrahydrocannabinol) und CBN (Cannabinol) in einem Mausmodell für das Adenokarzinom der Lunge nach [16].

Cannabis ist der lateinische Gattungsname für die Hanfpflanze. THC-arme Hanfsorten werden gelegentlich Faserhanf oder Industriehanf genannt und dürfen in vielen europäischen Ländern von Landwirten angebaut werden, um Fasern für die Industrie und Hanfsamen für die Ernährung zu gewinnen. Sie können auch als Quelle für CBD-reiche Cannabisextrakte dienen. THC-reiche Hanfsorten können Drogenhanf genannt werden. Die weiblichen Pflanzen weisen einen höheren THC-Gehalt auf als männliche, sodass zur medizinischen Verwendung nur die weiblichen Pflanzen Verwendung finden.

Wirksame Inhaltsstoffe

Die Hanfpflanze enthält charakteristische Inhaltsstoffe, welche als Cannabinoide bezeichnet werden.

Merke

Bis heute wurden bisher etwa 120 verschiedene Cannabinoide gefunden, die sich mehrheitlich 10 Gruppen zuordnen lassen.

Die wichtigste Gruppe ist die THC-Gruppe, und der bedeutendste Vertreter dieser Gruppe ist das phenolische Delta-9-Tetrahydrocannabinol oder kurz Δ9-THC bzw. THC. Der internationale Freiname für das in der Hanfpflanze natürlich vorkommende THC lautet Dronabinol. Es ist sowohl für die meisten medizinischen Eigenschaften als auch für die charakteristischen psychischen Wirkungen von Cannabis verantwortlich. Es wirkt euphorisierend, sedierend, anxiolytisch oder anxiogen, muskelrelaxierend, antiepileptisch, antiemetisch, orektisch, antiinflammatorisch, analgetisch und bronchodilatatorisch [15].

Die zweitwichtigste Cannabinoidgruppe ist die CBD-Gruppe. CBD ist vor allem im Faserhanf vertreten. Allerdings gibt es auch einige CBD-reiche Medizinalcannabisblüten aus der Apotheke. Im Gegensatz zum THC verursacht CBD keine psychedelischen Wirkungen und in hohen Dosen wirkt es der berauschenden Wirkung des THC entgegen. Allerdings kann es die analgetischen Eigenschaften des THC verstärken. Außerdem wirkt CBD sedierend, antiphlogistisch, antiepileptisch, anxiolytisch und antipsychotisch [15]. THC kommt in Medizinalcannabisblüten aus der Apotheke in Konzentrationen zwischen 1 und 25% vor. Einige CBD-reiche Medizinalcannabisblüten enthalten zum Teil mehr als 10%.

Ein endogenes Cannabinoidsystem

Nachdem Ende der 1980er-Jahre erstmals nachgewiesen worden war, dass THC seine Wirkungen auf das zentrale Nervensystem nicht etwa unspezifisch wie Alkohol, sondern über spezifische Rezeptoren ausübt, wurden in der ersten Hälfte der 1990er-Jahre zwei Cannabinoidrezeptoren geklont und zwei endogene Cannabinoide, die an diese Rezeptoren agonistisch binden, nachgewiesen [15]. Überraschenderweise wiesen diese eine ganz andere chemische Struktur auf als exogene Cannabinoide der Hanfpflanze.

Die wichtigsten Rezeptoren sind der Cannabinoid-1-Rezeptor (CB1-Rezeptor), der vor allem im Zentralnervensystem verbreitet ist, und der Cannabinoid-2-Rezeptor (CB2-Rezeptor), der vor allem auf Zellen des Immunsystems gefunden wird. CB1-Rezeptoren finden sich in nahezu allen Geweben und Organen des menschlichen Organismus. Die am besten erforschten Endocannabinoide sind Anandamid (Arachidonoylethanolamid, entdeckt 1992) und 2-AG (2-Arachidonoylglycerol, entdeckt 1995). Cannabinoide sind Derivate von Fettsäuren.

Als die wichtigsten physiologischen Funktionen des Endocannabinoidsystems gelten [14]:

  • Entspannung (Verringerung von Schmerzen und Körpertemperatur)
  • Ausruhen (Reduzierung der Bewegungsaktivität)
  • Anpassen/Vergessen (Erholung von innerem und äußerem Stress)
  • Schützen (Reduzierung von Entzündungen und übermäßiger Aktivität der Nervenzellen)
  • Essen (Steigerung des Hungergefühls, Nahrungs- und Energiespeicherung)

THC aktiviert sowohl den CB1- als auch den CB2-Rezeptor, während die Wirkungsweise von Cannabidiol verschiedene Mechanismen umfasst, darunter die Verzögerung des Abbaus von Anandamid, die Bindung an eine Anzahl von Rezeptoren (CB1-Rezeptor, 5-HT1A-Rezeptor, Glycin-Rezeptor, Vanilloid-1- und Vanilloid-2-Rezeptor, GPR3-, GPR6- und GPR55-Rezeptor) und eine Blockierung der THC-Wirkung am CB1-Rezeptor [15].

Palliative Therapie

Die Verwendung von Cannabis wird von vielen Patienten mit fortgeschrittenem Krebs als „hoch wirksam“ bei der Symptombewältigung wahrgenommen [23]. Verbesserungen von Schmerzen (70%), allgemeinem Wohlbefinden (70%), Appetit (60%) und Übelkeit (50%) wurden von den Studienteilnehmenden angegeben. Eine retrospektive Analyse der Daten von etwa 10.000 Patienten, die in Israel mit Cannabis behandelt wurden, ergab, dass die Cannabisbehandlung mit einer hohen Therapietreue, einer Verbesserung der Lebensqualität und einer Verringerung der Schmerzen verbunden war [1]. Mögliche symptomatisch nutzbare Eigenschaften von THC bzw. Dronabinol sind antiemetische und orektische Wirkungen, Analgesie, Verbesserung des Schlafes, Reduzierung von Nachtschweiß sowie Juckreiz, Anxiolyse und gehobene Stimmung [15]. Es gibt darüber hinaus Hinweise, dass zytostatikainduzierte kardiale und neurologische Schäden durch die Chemotherapeutika Oxaliplatin, 5-Floruracil und Paclitaxel mithilfe von prophylaktisch eingesetzten Cannabinoiden, insbesondere CBD, abgeschwächt werden könnten [8].

Mechanismen der Krebshemmung durch Cannabinoide

Merke

Bei der Krebshemmung spielen nicht nur die Aktivierung der klassischen Cannabinoid-Rezeptoren CB1- und CB2 eine Rolle, sondern weitere Rezeptoren, darunter der TRPVR1-Rezeptor (Vanilloid-1-Rezeptor), der GPR55-Rezeptor und der TRPM8-Rezeptor [17].

Zu den Mechanismen der Krebshemmung zählen die Induktion von Apoptose und Autophagie, eine Hemmung der Angioneogenese im Tumor, Immunmodulation sowie Reduzierung der Fähigkeit zur Metastasierung durch Hemmung von Migration und Invasionsfähigkeit [17]. Zu den immunmodulatorischen Veränderungen zählen die Zunahme antiinflammatorischer Zytokine und die Bildung regulatorischer T-Zellen. 

Bemerkenswerterweise beeinflussen Cannabinoide in therapeutisch erzielbaren Konzentrationen, d. h. für THC in einem Konzentrationsbereich unter einem Mikromol, nicht die Lebensfähigkeit gesunder Zellen. Dies wurde beispielsweise experimentell für Astrozyten nachgewiesen [20]. Die Stimulierung von Cannabinoidrezeptoren scheint in veränderten Krebszellen und unveränderten gesunden Zellen unterschiedliche Signalwege zu aktivieren.

In der Grundlagenforschung wurden nicht nur antiproliferative Wirkungen, sondern in einigen Studien auch eine Krebsförderung durch Cannabinoide beobachtet [10]. So wies das Mammakarzinom 4T1 der Maus geringe bis nicht nachweisbare Mengen an Cannabinoidrezeptoren (CB1 und CB2) auf, sodass THC in einer Studie aus 2005 nicht zytotoxisch auf diese Krebszellen wirkte. THC hemmte dagegen die Antitumor-Immunität und führte zu einer Zunahme des Krebswachstums. Auch die menschlichen Brustkrebszelllinien MCF-7 und MDA-MB-231 weisen kaum nachweisbare Mengen an Cannabinoidrezeptoren auf. In einer weiteren Studie erhöhte eine chronisch-intermittierende Hypoxie die Cannabinoidrezeptor-Expression und förderte die Invasion bei Brustkrebs. Mäuse, denen MCF-7-Zellen transplantiert wurden, zeigten bei chronisch intermittierender Hypoxie im Vergleich zu chronischer Hypoxie und Kontrolltieren ein deutliches Tumorwachstum, die Angiogenese sowie die Lungenmetastasierung. In zwei verschiedenen, schwach immunogenen Lungenkrebsmodellen der Maus unterdrückte THC ebenfalls die Immunreaktivität des Wirts und beschleunigte das Wachstum der Tumorimplantate. Eine Übersicht experimenteller Studien findet sich in [8].

Epidemiologische Studien

Zum Zusammenhang zwischen Cannabis und Krebs beim Menschen können epidemiologische und klinische Studien wissenschaftliche Erkenntnisse liefern. In der Grundlagenforschung wurde nachgewiesen, dass die langzeitige Einnahme von THC – in einer Studie 5 Tage pro Woche für einen Zeitraum von 2 Jahren [3] – das Krebsrisiko von Mäusen und Ratten reduzieren und dadurch das Überleben verlängern kann. Ein solch protektiver Effekt wird aufgrund epidemiologischer Studien auch beim Menschen vermutet [4]. Die bisher aussagekräftigste epidemiologische Untersuchung wurde von der Arbeitsgruppe von Donald Tashkin von der Universität von Kalifornien in Los Angeles durchgeführt [9]: Die Forschenden hatten 1212 an Krebs Erkrankte mit 1040 gesunden Nichtrauchern verglichen. Die Odds Ratio, durch starken Cannabiskonsum an Mundkrebs zu erkranken, betrug 1,1, für Kehlkopfkrebs 0,84, für Lungenkrebs 0,62, für Rachenkrebs 0,57 und für Speiseröhrenkrebs 0,53. Das Risiko für starke Cannabiskonsumenten, an Lungenkrebs zu erkranken, war also um 38% reduziert. Tabakraucher wiesen in dieser Studie dagegen das von anderen epidemiologischen Studien bekannte, zum Teil deutlich erhöhte Risiko für verschiedene Krebsarten auf.

Es gibt einige epidemiologische Studien, die nur eine einzelne Krebsart untersucht haben. So wurde eine Datenanalyse von etwa 101 Millionen Patienten aus den USA vorgenommen [6]. Von dieser Gesamtzahl hatten 996.290 Patienten (1%) die Diagnose Cannabismissbrauch gegenüber 100.234.746 Patienten (99%) in der Kontrollgruppe ohne Cannabismissbrauch. Nach Bereinigung um mögliche Störfaktoren hatten Patienten mit Cannabismissbrauch ein um 55% geringeres Risiko, an Leberkrebs zu erkranken. In einer Studie mit 6002 Patienten mit Morbus Crohn und 1481 Patienten mit Colitis ulcerosa war Cannabiskonsum mit einem geringeren Risiko für die Entstehung von Darmkrebs verbunden [5].

Fallberichte

Im Internet findet sich eine Anzahl von Erfahrungsberichten von Krebspatienten und Ärzten, die nahelegen, dass Cannabisprodukte angeblich das Überleben verlängern oder durch den Konsum der Krebs sogar vollständig besiegt werden könne. Allerdings kann bei den meisten Beschreibungen nicht sicher von einer Kausalität die Rede sein, da die Patienten beispielsweise auch andere Therapien durchgeführt haben. Es gibt jedoch eine Anzahl gut dokumentierter Fallberichte in der wissenschaftlichen Literatur, die es lohnt anzuschauen.

Laut einem dieser Fallberichte verbesserte sich die Situation einer 80-jährigen Patientin mit Lungenkrebs, die eine konventionelle Behandlung ablehnte, nach der Einnahme von THC und CBD [12]. Ohne Wissen ihrer Ärzte entschied sie sich für die Einnahme eines Extrakts mit 21% CBD und 20% THC, den sie zwei- bis dreimal täglich einnahm. Die Bildgebung zeigte, dass sich der Durchmesser des Tumors über einen Zeitraum von 2,5 Jahren schrittweise von 41 mm auf 10 mm verkleinert hatte.

In einem Fall aus Kanada wurde ein zum Zeitpunkt der Diagnosestellung 14 Jahre altes Mädchen mit einer aggressiven Form einer Kinderleukämie (Philadelphia-Chromosom-positive akute lymphoblastische Leukämie) mit verschiedenen Cannabisextrakten behandelt, nachdem Standard-Therapien über einen Zeitraum von 34 Monaten erfolglos waren [21]. Durch die Behandlung mit Cannabis kam es innerhalb weniger Wochen zu einem drastischen Abfall der malignen Lymphoblasten im Blut. Die Patientin ist dennoch nach einigen Monaten aufgrund von Blutungen, Darmentzündung und Darmperforation verstorben.

Im Sommer 2018 besuchte mich ein 75 Jahre alter Mann in meiner Praxis. Er litt an rezidivierenden Basalzellkarzinomen auf der Nase, die zuvor mittels operativer Maßnahmen und Bestrahlung behandelt worden waren, sowie an einer aktinischen Keratose auf dem Kopf. Er hat eine kleine Menge eines THC-reichen Cannabisextrakts (Haschischöl) viermal täglich auf die betroffenen Stellen appliziert. Innerhalb von zwei Wochen heilten die Basaliome ab [4] [5]. Die aktinische Keratose auf dem Schädel heilte innerhalb von 4 Wochen ab.

Auch Kollegen aus Kalifornien berichteten über die erfolgreiche Behandlung eines Hautkrebses, in diesem Fall mit einem lokal aufgetragenen 20%igen CBD-Extrakt [11]. Eine 64-jährige Frau mit multiplen Plattenepithelkarzinomen in der Vorgeschichte stellte sich mit Hautläsionen an beiden Handrücken vor. Biopsien ergaben einen Lichen simplex chronicus der linken Hand und ein Plattenepithelkarzinom der rechten Hand. Beide Veränderungen verschwanden durch die topische Applikation des Extrakts innerhalb von 4 Wochen.

Klinische Studien

Erstmals wurde im Jahr 2021 eine kleine placebokontrollierte Studie veröffentlicht, die Hinweise gibt, dass Cannabis nicht nur im Tierversuch, sondern auch beim Menschen das Krebswachstum hemmen und das Überleben verbessern kann [22]. An der Studie durften Patienten mit einem Rezidiv eines Glioblastoms teilnehmen. Von den 21 Teilnehmern erhielten 12 Patienten Telezolomid plus einen standardisierten Cannabisextrakt mit etwa gleichen Anteilen von THC und CBD, und 9 Patienten Telezolomid plus Placebo. Nach einem Jahr lebten noch 44% der Patienten, die nur Telezolomid und das Placebo erhalten hatten, während die 1-Jahresüberlebensrate in der Cannabisgruppe 83% betrug. Allerdings starben in der Placebogruppe 2 Patienten innerhalb der ersten 40 Tage nach Beginn der Studie.

Laut einer Fallserie mit 9 Patienten, die an Glioblastom litten, könnte CBD in einer Tagesdosis von 400 mg positive Auswirkungen auf das Überleben haben [13]. Alle Patienten erhielten CBD zusammen mit den Standardtherapieverfahren der maximalen Resektion und anschließenden Radiochemotherapie. Als die Autoren den Artikel einreichten, lebten bis auf einen Patienten noch alle anderen mit einer mittleren Überlebenszeit von 22,3 Monaten (Bereich: 7–47 Monate), was „länger ist, als man erwartet hätte“ [13] (die mittlere Überlebenszeit für Erwachsene mit Glioblastom wird mit 14,6 Monaten angegeben [24]).

Info

Aus der Grundlagenforschung lassen sich in Kürze folgende Ergebnisse zusammenfassen [8]:

  1. THC wirkt meistens krebshemmend, allerdings war es in einigen experimentellen Studien auch tumorfördernd.
  2. CBD und CBG wirken grundsätzlich krebshemmend.
  3. Die Krebshemmung beruht auf Apoptose, Autophagie, Hemmung der Zellteilung, Angioneogenese und Metastasierung sowie Immunmodulation.
  4. Die Wirkungen von THC, CBD und CBG waren in einigen Untersuchungen synergistisch, z. B. in Tiermodellen des Glioblastoms.
  5. Cannabinoide hemmen z.T. die Resistenzbildung des Krebses gegen bestimmte Chemotherapeutika.

Wechselwirkungen

Es sind sowohl erwünschte als auch unerwünschte Wechselwirkungen in der Onkologie möglich.

Merke

So verstärken Cannabinoide z.T. die Wirksamkeit von Zytostatika, können jedoch andererseits im Rahmen einer Immuntherapie deren Wirkung abschwächen.

Ein Metabolit von Tamoxifen ist ein inverser Agonist am CB2-Rezeptor, sodass unerwünschte Wechselwirkungen mit THC auftreten könnten, weshalb ich von einer Kombination abrate. Da CBD und THC immunsuppressive Eigenschaften besitzen, kann eine hochdosierte Cannabinoidtherapie zusammen mit Immuntherapien das Therapieergebnis möglicherweise verschlechtern [2]. Die symptomatische Therapie mit geringen THC-Dosen zur Steigerung von Appetit und Hemmung von Übelkeit ist allerdings vermutlich unproblematisch.

THC und CBD hemmen transmembranäre Arzneimitteltransportsysteme. Dazu gehören beispielsweise das P-Glykoprotein (P-gp), das Breast Cancer Resistance Protein (BCRP) oder das Multidrug Resistance-Related Proteine 1 (MRP1) [7]. Dadurch wird die Wirksamkeit der Zytostatika gesteigert.

THC und CBD werden in der Leber über Enzyme der Cytochrom-P450-Familie – darunter CYP2C9 und CYP3A4 – verstoffwechselt. Deshalb können Wechselwirkungen mit Medikamenten auftreten, die auf dem gleichen Wege metabolisiert werden. Substrate von CYP3A1 sind beispielsweise Cyclophosphamid, Paclitaxel und Tyrosinkinasehemmer (Imatinib und andere). Cyclophosphamid ist ein Substrat von CYP2C9. Die klinische Relevanz dieser Wechselwirkungen ist bisher nicht bekannt.

Cannabinoide wirkten in experimentellen Studien synergistisch mit einigen Zytostatika [8], darunter:

  • Temozolomid und CBD und CBG und THC beim Glioblastom
  • Doxorubicin plus CBD bei Glioblastom und Brustkrebs
  • Carmustin plus CBD bei Glioblastom
  • Cytarabin plus CBD oder THC bei Leukämie
  • Vincristin plus CBD oder THC bei Leukämie
  • Vinblastin plus CBD oder THC bei Leukämie
  • Strahlentherapie plus CBD oder THC bei Glioblastom
  • Bortezomib plus CBD bei multiplem Myelom
  • Carfilzomib plus CBD bei multiplem Myelom
  • Bicalutamid und Docetaxel plus CBD bei Prostatakrebs

Fazit für die Praxis

  1. Die Wirkungen von THC, CBD und CBG sind dosisabhängig. Hohe Dosen sind wirksamer als geringe.
  2. THC war nicht in allen Studien krebshemmend und kann daher nicht grundsätzlich empfohlen werden [8].
  3. Eine Kombination von THC, CBG und CBD erwies sich in einigen der bisher durchgeführten experimentellen Untersuchungen wirksamer als jedes der drei Cannabinoide allein.
  4. Da CBD und CBG gut vertragen werden, können sie in hohen Tagesdosen eingenommen werden. Eine Orientierung stellen orale Zieldosen von zweimal täglich 250 mg oder täglich 10 mg/kg Körpergewicht in 2 Gaben dar. Diese Dosen können innerhalb von 1–2 Wochen erreicht werden, beginnend mit jeweils zweimal täglich 50 mg.

Hinweise zum Einstieg in die Therapie mit THC-reichen Cannabis-Medikamenten

Es sollte zunächst geprüft werden, ob eine Therapie nach § 13 Betäubungsmittelgesetz zulässig ist. Nach § 13 ist eine Behandlung mit BTM insbesondere dann nicht zulässig, wenn der gleiche Zweck mit anderen Mitteln erreicht werden kann. Für unerfahrene Ärzte ist es sinnvoll, eine Therapie mit standardisierten Extrakten zu beginnen. Später kann eine Umstellung auf Cannabisblüten erfolgen, die manchmal ein breiteres Wirkungsspektrum und eine bessere Verträglichkeit aufweisen.

Es gibt Cannabis-Medikamente, die oral eingenommen sowie solche, die überwiegend inhaliert werden können. Der Wirkungseintritt und die Dauer der Wirkung variieren in Abhängigkeit von der Applikationsform. Nach der oralen Einnahme tritt die Wirkung im Allgemeinen nach 30–90 Minuten ein, nach der inhalativen Einnahme jedoch bereits nach Sekunden bis wenigen Minuten.

Die Dosierung muss einschleichend erfolgen, also beispielweise mit 1–2×2,5 mg Dronabinol, 1×1 mg Nabilon, 1 Sprühstoß Sativex® (2,7 mg Dronabinol) oder 20 mg Cannabisblüten täglich. Danach wird alle 1–2 Tage um eine Einheit gesteigert, beim Auftreten von Nebenwirkungen um eine Einheit reduziert.

 

Hinweis: Der in der DZO veröffentlichte Artikel enthält 5 Abbildungen.

Dr. med. Franjo Grotenhermen

Interessenkonflikt: Der Autor hat von folgenden Firmen, die im Cannabisbereich aktiv sind, Honorare für Beratung oder Vorträge erhalten: Bionorica SE, Canify A/S, Demecan Holding GmbH, Drapalin Pharmaceuticals GmbH, Four 20 Pharma GmbH, GECA Pharma GmbH, Heyday AG, Medican Pharma GmbH, MYCB1, Nature Bloom GmbH, Neuraxpharm, Oxygen Handel GmbH, Spectrum Therapeutics GmbH, STADA Arzneimittel AG, Storz & Bickel GmbH & Co. KG, Swiss Organic Partners AG, THC Pharm GmbH, Vayamed GmbH.

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