OnkologieFasten bei Tumorerkrankungen – ist das ratsam?

Fasten gilt als gesundheitsförderlich. Für Tumorerkrankungen galt Fasten bislang generell als nicht geeignet. Erst unlängst hat ein Umbruch stattgefunden.

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Teekanne und Teetasse mit grünem Tee
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Zeitweiser Verzicht auf feste Nahrung scheint auch in der Tumortherapie in bestimmten Fällen positive Effekte zu haben.

Zusammenfassung

Fasten ist eine Jahrhunderte alte Praxis, die auch in vielen Religionen zu Hause ist. In die Naturheilkunde hielt das Fasten über Ärzte Einzug, die für ihre eigene Genesung positive Erfahrung damit machten. Die wissenschaftliche Forschung begann in Europa erst vor wenigen Jahren, wobei die gesundheitsförderlichen Abläufe des Fastens und ihre Bedeutung für die unterschiedlichen Erkrankungen untersucht wurden. Auch wenn für zahlreiche Erkrankungen die wissenschaftlichen Hinweise auf die gesundheitsförderliche Wirkung des Fastens zunahmen, so galt doch für Tumorerkrankungen generell, dass hier das Fasten nicht geeignet sei. Erst unlängst hat hier ein Umbruch stattgefunden.

Insbesondere liegen Forschungsergebnisse für das Kurzeitfasten vor, die zeigen, dass Fasten bei Tumorerkrankten die Belastungen durch Nebenwirkungen senkt und die Wirksamkeit der Chemotherapie verbessern kann.

Fasten und Autophagie

Fasten gilt gemeinhin als eine Möglichkeit, der Autophagie den Weg zu bereiten, das Leben zu verlängern und etliche gesundheitliche Kalamitäten zu bekämpfen. Der Begriff Autophagie kommt aus dem Griechischen und bedeutet so viel wie sich selbst verzehren. Verzehrt werden dabei, grob gesehen, einfach Happen von Zytoplasma – das Material innerhalb der Zelle, aber außerhalb ihres Kerns.

Die Autophagie wird als ein Prozess der Zellverjüngung betrachtet. Fasten gilt als wichtigster Auslöser für die Autophagie [1]. Wie lange und unter welchen Bedingungen gefastet werden muss, ist allerdings nicht zu 100% eindeutig. Während Anhänger des 16-stündigen Intervallfastens sich oftmals schon einen Autophagie-Effekt versprechen, gehen wieder andere davon aus, dass nur eine starke Kalorienreduktion über mindestens 3 Tage wirksam sein kann.

Als klassische Methode des Heilfastens wird das Buchinger-Fasten beschrieben. Hierzu liegt eine forschungsbasierte Leitlinie vor [2]. Die Evidenz scheint ziemlich überzeugend: Es liegen wissenschaftliche Belege für die positiven Effekte des Fastens für Menschen mit metabolischem Syndrom, Depressionen, Multipler Sklerose, kardiovaskulären Erkrankungen und anderen vor [3] [4] [5] [6] [7].

Viele Jahrhunderte und Jahrtausende gehörten Zeiten, in denen nicht während des gesamten Jahres ausreichend Lebensmittel zur Verfügung standen, zum Alltag der Menschen. In verschiedenen Religionen haben sich bestimmte Zeiten erhalten, z.B. die Fastenzeit vor Ostern im Christentum.

Wir leben in einer Wohlstandgesellschaft und kennen die jahreszeitlich bedingten Auszeiten nicht mehr, in denen es weniger zu essen gab, und auch nicht mehr die religiösen Gebräuche, nach denen die Zeit nach dem Karneval bis Ostern und auch vor Weihnachten gefastet wurde. Wir sind ganzjährige tägliche Esser und leiden eher an Über- als an Unterversorgung. Langsam und allmählich aber entdecken wir alte Gebräuche wieder – vor Ostern wird von Kaffee oder Alkohol, Zucker oder Fleisch Abstand genommen; viele stellen sich um auf eine intermittierende Fastenform, zum Beispiel 5:2 (5 Tage Essen und 2 Tage Fasten) oder 8:16 (8 Stunden Essen und dann eine Pause von 16 Stunden – zum Beispiel dadurch, dass man einfach konsequent eine Mahlzeit – das Frühstück oder das Abendbrot – weglässt.

Die „Väter“ des medizinisch begründeten Fastens entdeckten das Fasten als eine Möglichkeit, ihre eigenen Beschwerden zu lindern [2]. Die gängigste Form des Fastens, das Buchinger-Fasten, welche in Deutschland verbreitet ist, umfasst 3 Ebenen:

  • die physische Ebene der Ernährung,
  • die emotionale Ebene, die zum Beispiel durch die Psychoedukation und die Empfehlungen adressiert wird, sich in der Natur aufzuhalten, und
  • die spirituelle Ebene, die durch Meditation, den individuellen Rückzug in die Stille, Gebet und Andacht adressiert werden kann.

Fasten wird also als eine umfassende Intervention verstanden, bei der es um den ganzen Menschen geht. Die Leitlinien einer Expertengruppe fordern deshalb zur Begleitung der Fastenden auch ein multimodales Team mit Ernährungsberatern, Ärzten und Fastenbegleitern, genug Zeit für Bewegung und Entspannung sowie Unterstützung bei der Bewältigung emotionaler Herausforderungen [2].

Ernährung ist ein bedeutsamer Aspekt unseres alltäglichen Lebens, hier haben wir eine gute Möglichkeit, selbst etwas für unsere Gesundheit zu tun; es ist ein starkes Selbstmanagement-Werkzeug – wie Bewegung, die Pflege von Freundschaften, das Singen oder Beten. Viele Menschen nutzen diese Möglichkeit. Dem indischen Pazifisten Mahatma Gandhi wird der Satz zugesprochen: „Die Fastenzeiten sind Teil meines Wesens. Ich kann auf sie ebenso wenig verzichten wie auf meine Augen. Was die Augen für die äußere Welt sind, das ist das Fasten für die innere Welt“.

Essen ist die zentrale Stelle, an der wir selbst über uns entscheiden. Es handelt sich hier um ein sehr intimes Recht der Selbstbestimmung. Selbst wenn wir schon seit Wochen ans Bett gefesselt sind und kaum noch mit der Umwelt kommunizieren können, selbst wenn die Zeit kommen mag, sich auf das Sterben vorzubereiten: Wir haben über die Entscheidung für oder gegen das Essen und Trinken eine Möglichkeit, unseren Willen zum Ausdruck zu bringen.

In der Ernährung/dem Fasten liegen viele Ressourcen! Die Ernährungsberatung hat leider als gesundheitliche und Selbstmanagementressource einen nicht ausreichend beachteten Stellenwert in unseren Kliniken und Praxen. Oft sind es die Betroffenen selbst, die fordern, dass alternative Ernährungsweisen oder das Fasten untersucht wird, um weitere unterstützende Option zum Selbstmanagement zur Verfügung zu haben. So forderten z.B. MS-Patienten die Untersuchung des Einflusses von Ernährung auf ihren Krankheitsverlauf. Betroffene mit Typ-1-Diabetes zeigten in einer Pilotstudie, dass – obwohl es bislang immer verboten war – Fasten auch bei dieser Autoimmunerkrankung möglich ist [8].

Fasten bei Tumorerkrankungen

Wie steht es nun mit dem Fasten bei Tumorerkrankungen? Noch bis vor kurzem galten manifeste Krebserkrankungen als unumstößliche, absolute Kontraindikation des therapeutischen Fastens und der kalorischen Restriktion. Die eindeutigen Befunde, dass Gewichtsverlust mit einer schlechten Prognose einhergeht, standen fastentherapeutischen Überlegungen zu sehr entgegen [9].

Inzwischen liegen aber Studien aus der Grundlagen- und der klinischen Forschung vor, die dieses Bild ändern, wesentliche Beispiele dafür sollen im Folgenden vorgestellt werden.

Das Kurzzeitfasten

Das, was aus Gründen der Machbarkeit derzeit in den Studien in der Regel untersucht wird, ist das sog. Kurzzeitfasten. Man weiß aus Zell- und Tierversuchen, dass Fasten normale Zellen, aber nicht Krebszellen vor der Toxizität chemotherapeutisch wirksamer Substanzen schützen kann [10]. Die daraufhin unternommenen klinischen Studien am Menschen wurden schon 2018 in der Ärztezeitung vorgestellt und diskutiert:

Kurzzeitfasten macht die Chemotherapie wohl wirksamer und verträglicher – so jedenfalls die Befunde für Burst- und Ovarialkrebs [6].

Berliner Ärzte um Stephan P. Bauersfeld und Andreas Michalsen unter anderem von der Charité – Universitätsmedizin und der Tagesklinik des Immanuel-Krankenhauses in Berlin prüften in einer Pilotstudie, welchen Effekt Kurzzeitfasten bei Patientinnen mit einem Mamma- oder Ovarialkarzinom während der Chemotherapie auf die Lebensqualität hat [6]. Das Fasten umfasste 60 Stunden, also 5 Tage – 36 Stunden vor der Chemotherapie und 24 Stunden nach der Chemotherapie und wurde an 5 Chemotherapie-Zyklen durchgeführt. Während des Fastens war es den Frauen erlaubt, Wasser, Kräutertee ad libitum sowie 2×100 ml Gemüsesaft und Gemüsebrühe mit einer täglichen Zufuhr von maximalen 350 kcal zu sich nehmen.

Wie die Ärzte berichten, vertrugen die Frauen das Kurzzeitfasten gut. Einen Einfluss auf den BMI habe es nicht gehabt. Die Lebensqualität sei weniger stark beeinträchtigt worden als in der Vergleichsgruppe ohne Fasten [6]. Zudem habe die Müdigkeit während der ersten Woche nach der Chemotherapie in der Gruppe mit Fasten abgenommen. Die Daten von 29 Frauen konnten in die Auswertung einbezogen werden. Da es sich „nur“ um eine erste Pilotstudie handelt, sollten diese Ergebnisse als Hinweise interpretiert werden, die in größeren Interventionsstudien überprüft werden müssen. Was aber zählt ist, dass sowohl die Lebensqualität als auch die Verträglichkeit der Chemotherapie verbessert werden konnten.

Das Scheinfasten

Eine besondere Form des Fastens hat Valter Longo in Italien entwickelt: Die sog. Scheinfasten-Diät (fasting mimicking diet). Sie wird auf eine Dauer von 5 Tagen angesetzt und periodisch angewendet – einmal in 6 Monaten bis maximal einmal pro Monat [11].

Die Kalorienzufuhr wird auf 750 kcal pro Tag abgesenkt, es sind 3 Mahlzeiten pro Tag erlaubt. Diese setzen sich aus speziell dafür zubereiteten Gemüsesuppen und -eintöpfen, Oliven, Grünkohl-Crackern und Nussriegeln zusammen. Dabei wird die Aufnahme der Kalorien zu 50% in überwiegend ungesättigten Fettsäuren und zu 50% in komplexe Kohlehydrate mit einem niedrigen glykämischen Index bei minimalem Eiweißanteil aufgeteilt.

So hat die Arbeitsgruppe um Valter Longo herausgefunden, wie eine protein-, kalorien- und zuckerarme Ernährung zusammengesetzt sein muss, damit der IGF-1-Spiegel reduziert und die Protein-Signalwerte nicht aktiviert werden. Die Aktivierung dieser Signalwerte ist dafür verantwortlich, dass Nahrung als solche vom Körper erkannt wird [12]. Hier rührt auch die Bezeichnung des Scheinfastens her, da der Körper die zugeführte Nahrung nicht als solche erkennt und deshalb den Fastenzustand der Ketose und der Autophagie aufrecht erhält. Nach dem Ende des 5-tägigen Fastens wird in der Regel noch ein Übergangstag zum sog. Abfasten eingelegt, bei dem der Körper mithilfe von leichter, protein- und kohlenhydratarmer Kost an eine normale Energiezufuhr herangeführt wird.

Ergebnisse aus klinischen Studien an Tieren und Menschen haben ergeben, dass der Körper während des 5-tägigen Ernährungsprogramms durch die stark reduzierte Kalorienzufuhr in die Ketose gelangt. Das Umschalten von kohlehydratbasierter zu einer Energieversorgung, die auf Ketonen basiert, ist eine Fähigkeit, über die wir als Menschen verfügen und die uns dazu befähigt, auch Zeiten ohne Nahrung gut zu überstehen [13].

Ungeeignet ist diese Fastenform für Menschen mit Allergien gegen Nüsse, Soja, Hafer, Sesam oder Sellerie; für Frauen während der Schwangerschaft und der Stillzeit, aber auch bei Fieber, Husten, Durchfall oder Anzeichen einer akuten Infektion; bei Proteinmangel, Essstörungen und Untergewicht.

Personen mit gesundheitlichen Einschränkungen sollten sich ärztlich beraten lassen, bevor sie sich einer Scheinfasten-Diät unterziehen. Also definitiv auch eine Version zum Ausprobieren, wenn wir an diese Art der Ernährung herankommen – sie lässt sich aber auch sicherlich mit entsprechendem Aufwand und Fachkenntnissen der Ernährungszusammensetzung selbst zusammenstellen.

Fazit

In diesem Überblick wurde zusammengetragen, dass die Forschung zum kurzzeitigen Fasten während der Chemotherapie zwar noch in den Kinderschuhen steckt und überwiegend im Rahmen von Studien und noch lange nicht als klinische Routine anzutreffen ist.

  • Aber es liegt eben doch präklinische Evidenz für das Fasten während der Chemotherapie bei normal oder übergewichtigen Menschen (hier erst recht) vor [6].
  • Es gibt ermutigende Hinweise darauf, dass durch 5-tägiges Fasten die chemotherapeutische Giftigkeit (Toxizität) der Behandlung und somit die Chemotherapie-bedingten Nebenwirkungen gesenkt werden und die Lebensqualität verbessert werden kann [14].

Spannend wären nun auch Studien mit einem längeren Fastenverlauf und die Übertragung der vorliegenden Ergebnisse auf Betroffene mit anderen Tumorarten.

Als Betroffene sollten Sie auf jeden Fall in Ihrer Klinik die Ärzte darauf ansprechen, ob Sie von ihnen Unterstützung beim Fasten erhalten können. Auf die hier erwähnten Studien können Sie gerne verweisen. Hippokrates war der erste, von dem wir wissen, dass er das Fasten empfahl – vor allem dann, wenn die Menschen krank waren. Letztlich entscheiden Sie ja auch alleine darüber, was Sie essen. Die Freiheit, nur Brühe und Tee zu sich zu nehmen, haben Sie immer. Probieren Sie es einfach aus, wenn Sie normal- oder übergewichtig sind.

Dr. Bettina Berger

Lehrstuhl für Medizintheorie, Integrative und Anthroposophische Medizin

Universität Witten/Herdecke

Interessenkonflikt: Die Autorin erklärt, dass keine Interessenkonflikte bestehen.

  1. Lenzen-Schulte M, Zylka-Menhorn V. Autophagie: Selbstverstümmelung als Überlebensstrategie. Dtsch Arztebl International 2016; 113: 1740
  2. Wilhelmi de Toledo F, Buchinger A, Burggrabe H. et al. Fasting therapy – an expert panel update of the 2002 consensus guidelines. Forsch Komplementmed 2013; 20: 434-443 DOI: 10.1159/000357602
  3. Wilhelmi de Toledo F, Grundler F, Bergouignan A, Drinda S, Michalsen A. Safety, health improvement and well-being during a 4 to 21-day fasting period in an observational study including 1422 subjects. PLoS One 2019; 14: e0209353 DOI: 10.1371/journal.pone.0209353
  4. Stange R, Pflugbeil C, Michalsen A, Uehleke B. Therapeutic fasting in patients with metabolic syndrome and impaired insulin resistance. Forsch Komplementmed 2013; 20: 421-426 DOI: 10.1159/000357875
  5. Choi IY, Piccio L, Childress P. et al. A diet mimicking fasting promotes regeneration and reduces autoimmunity and multiple sclerosis symptoms. Cell Reports 2016; 15: 2136-2146 DOI: 10.1016/j.celrep.2016.05.009
  6. Bauersfeld SP, Kessler CS, Wischnewsky M. et al. The effects of short-term fasting on quality of life and tolerance to chemotherapy in patients with breast and ovarian cancer: a randomized cross-over pilot study. BMC Cancer 2018; 18: 476 DOI: 10.1186/s12885-018-4353-2
  7. Brandhorst S, Longo VD. Dietary restrictions and nutrition in the prevention and treatment of cardiovascular disease. Circ Res 2019; 124: 952-965 DOI: 10.1161/circresaha.118.313352
  8. Berger B, Jenetzky E, Köblös D. et al. Seven-day fasting as a multimodal complex intervention for adults with type 1 diabetes-feasibility, benefit and safety in a controlled pilot study. Research Square Preprint 2020; DOI: 10.21203/rs.3.rs-57497/v1
  9. Michalsen A. Journal Club. Forsch Komplementmed 2015; 22: 405-409 DOI: 10.1159/000443025
  10. Lee C, Raffaghello L, Brandhorst S. et al. Fasting cycles retard growth of tumors and sensitize a range of cancer cell types to chemotherapy. Sci Transl Med 2012; 4: 124ra127 DOI: 10.1126/scitranslmed.3003293.
  11. de Groot S, Lugtenberg RT, Cohen D. et al. Fasting mimicking diet as an adjunct to neoadjuvant chemotherapy for breast cancer in the multicentre randomized phase 2 DIRECT trial. Nat Commun 2020; 11: 3083 DOI: 10.1038/s41467-020-16138-3
  12. Nencioni A, Caffa I, Cortellino S, Longo VD. Fasting and cancer: molecular mechanisms and clinical application. Nat Rev Cancer 2018; 18: 707-719 DOI: 10.1038/s41568-018-0061-0
  13. Cahill GF. Fuel metabolism in starvation. Annu Rev Nutr 2006; 26: 1-22 DOI: 10.1146/annurev.nutr.26.061505.111258
  14. de Groot S, Vreeswijk MP, Welters MJ. et al. The effects of short-term fasting on tolerance to (neo) adjuvant chemotherapy in HER2-negative breast cancer patients: a randomized pilot study. BMC Cancer 2015; 15: 652 DOI: 10.1186/s12885-015-1663-5