von Johanna Zielinski
Inhalt
Was steckt hinter dem Kauvorgang?
Auswirkungen bei unzureichendem Kauen
Wie gestaltet sich „gutes Kauen“?
Durch ein bewusstes Kauverhalten unterstützen wir die Verdauung unserer Nahrung erheblich und beugen Übergewicht vor. Diese Erkenntnis wurde bereits vor einem Jahrhundert populär und wissenschaftlich erforscht. Eine aktuelle Studie beschäftigt sich mit der erhöhten Wärmeerzeugung im Körper nach der Nahrungsaufnahme, der diätinduzierten Thermogenese (DIT) [1].
Gut gekaut ist halb verdaut
Was steckt hinter dem Kauvorgang?
Wir kauen, um unser Essen mechanisch zu zerkleinern. Das liegt auf den ersten Blick klar auf der Hand. Bei näherer Betrachtung ist dieser Vorgang komplexer und weitreichender.
Merke
Kauen ist der Anfang des Verdauungsvorgangs.
Bevor der eigentliche Kauprozess beginnt, nehmen wir die Nahrung durch unsere Sinnesorgane wahr. Wir sehen, riechen, berühren und schmecken sie. Dann erfolgt eine koordinierte Zusammenarbeit zwischen dem Kauapparat und dem zentralen Nervensystem. Dabei sind die Zähne, die Kieferknochen, die Kiefergelenke sowie die Kaumuskeln mit den verbundenen Nerven im Einsatz.
Zuerst zerkleinern unsere Zähne die Nahrung und bereiten sie für die weiteren Verdauungsschritte vor. Dabei werden die Nahrungsbestandteile zugänglich gemacht, etwa durch das Aufbrechen von widerstandsfähigen Zellstrukturen pflanzlicher Nahrung. Es erfolgen bewusste und prüfende Kauzyklen. Entspricht diese Überprüfung der Nahrung den Erwartungen, dann geschieht der Kauvorgang unwillkürlich und wird reflexartig gesteuert. Die Zunge, die Wangen und die Lippen positionieren die Nahrung zwischen den Zähnen und diese bereiten sie nach und nach auf. Der Speichel befeuchtet den Vorgang. Nach einigen Kauzyklen erfolgt dann schließlich der Schluckvorgang [Abb. 1] [2].
Generell regt Kauen die Durchblutung des Gehirns an – auch Hirnareale, die mit dem Gedächtnis in Verbindung stehen. Und jeder Bissen aktiviert die Verdauungssäfte des Körpers.
Die Rolle des Speichels
Es gibt unterschiedliche Formen von Speichel:
den Ruhespeichel und
den stimulierten Speichelfluss.
Der Ruhespeichel wird fortwährend aus den Speicheldrüsen im Mund abgesondert. Seine Aufgabe ist es, den Mund feucht zu halten. Wir schlucken den Speichel und die darin enthaltenen Enzyme, welche gesundheitsfördernd für Mund und Speiseröhre sind. Darunter sind auch die fettspaltende Lipase und die kohlenhydratspaltende α-Amylase sowie Lysozym und Peroxidase. Ebenso schlucken wir die Mundbakterien, das „Mundmikrobiom“, die im weiteren Prozess der Verdauung helfen.
Beim Anblick von Essen oder während dem Kauvorgang erhöht sich der Speichelfluss. Das enthaltene Speichelenzym Amylase fördert bereits im Mund die Verdauung von Kohlenhydraten [3]. Dieses Enzym ist auch im Dünndarm für die Verdauung von Kohlenhydraten zuständig. Seine Konzentration ist genetisch festgelegt durch die Anzahl der Gene AMY1 (Mundspeichel) und AMY2 (Bauchspeichel); dies variiert also von Mensch zu Mensch. Genetiker vom Kings College in London haben herausgefunden, dass Personen mit wenig Amylase im Speichel (weniger Kopien von AMY1) übergewichtiger sind und eventuell länger kauen sollten [4]. Dies wird derzeit noch näher untersucht. Besteht ein Mangel an Verdauungsenzymen, können je nach dem fehlenden Enzym Folgebeschwerden auftreten – etwa, wenn die Kohlenhydrate erst von den Darmbakterien aufgespalten werden, was zum Beispiel zu Blähungen führen kann [5].
Auswirkungen bei unzureichendem Kauen
Kauen dient nicht nur zur Vorverdauung, der Körper benötigt zudem ein Signal für das Sättigungsgefühl.
Merke
Durch zu schnelles Kauen und Schlucken wird das Sättigungsgefühl meist zu spät wahrgenommen.
Unzureichend zerkautes Essen verhindert zudem die vollständige Wirkung der Verdauungssäfte im Magen. Aufgabe der Magensäure ist es, die Nahrungsproteine so zu spalten, dass sie im Darm aufgenommen werden können. Doch größere Bestandteile führen zu einer unzureichenden Verdauung [Abb. 1]. Im Darm angelangt, vermehren sich deshalb die proteinspaltenden Bakterien und kompensieren das, was im Magen noch nicht verdaut wurde. Dadurch verändert sich die Zusammensetzung des Darmmikrobioms. Langfristig betrachtet, können Schleimhautveränderungen entstehen, die in einer höheren Durchlässigkeit münden können. Die nicht vollständig verdauten Partikel gelangen ins Blut und können die Leber belasten und Entzündungen oder Störungen des Fettstoffwechsels hervorrufen. Schließlich kann dies zu einem höheren Körpergewicht führen [6].
Wie gestaltet sich „gutes Kauen“?
Gesundheitsförderliches Kauen bedeutet, dass die Nahrung erst geschluckt wird, wenn sie breiförmig ist. Dabei ist es wichtig, intensiv zu kauen und die Bissen etappenweise zu schlucken. Dadurch wird die Nahrung optimal zerkleinert und mit Speichel durchmischt.
Merke
Idealerweise sollte jeder Bissen etwa 30-mal gekaut werden.
Der Magen muss somit die Zerkleinerungsarbeit nicht nachholen und wird weniger belastet. Auch neue Geschmacksnuancen entfalten sich. Bei längerem Kauen schmeckt Brot beispielsweise zuerst herb und verändert sich im weiteren Verlauf hin zum süßlichen Geschmack. Die Enzyme des Speichels setzen hierbei die Zuckermoleküle aus den aufgenommenen Kohlenhydraten frei.
Die Sättigung setzt ein, wenn genügend gekaut wurde und ein guter Geschmack entsteht [Abb. 2].
Merke
Wer satt und zufrieden ist, nimmt weniger zu sich und verzichtet sogar auf manche Süßigkeit.
Oftmals zeigt sich beim gründlichen Verzehr auch, dass Nahrung mit künstlichen Geschmacksstoffen nicht so angenehm schmeckt, wie es zuerst den Anschein hat. Das lässt sich auch bei Softdrinks wie Cola feststellen, je länger man diese im Mund behält.
Achtsames Genießen kann auch bekannten Volkskrankheiten vorbeugen, etwa Fettleibigkeit, Bluthochdruck oder Diabetes [7], [8]. Forscher fanden heraus, dass gründliches Kauen einen geringeren Blutzuckergehalt und Insulinanstieg zeigt als bei Vergleichspersonen, die wenig kauen [9]. Gründliches Kauen wirkt als Appetitzügler – etwa durch die Freisetzung bestimmter Hormone im Darm wie Glucagon-like Peptid 1 (GLP-1) oder Peptid YY (PYY).
Kautraining
mehr unverarbeitete Lebensmittel
kleine Bissen
lange und bewusst kauen
Geschmacksvielfalt wahrnehmen
bewusst schlucken
Pausen machen
Essen genießen
Aktuelle Studie zur DIT
Eine interessante aktuelle Studie zeigt den kausalen Zusammenhang zwischen Kauen und dem thermischen Effekt der Nahrungsaufnahme. [1]. Wissenschaftler der Waseda Universität in Japan zeigten, dass orale Reize während des gründlichen Kauens der Nahrung den Energieverbrauch des Körpers nach der Mahlzeit erhöhen – und somit auch Adipositas verhindert werden könnte. Dieser thermische Effekt steigert den Energieverbrauch über das basale Fastenniveau hinaus. Dabei wird die nahrungsinduzierte Thermogenese (DIT) definiert als der Anstieg des Energieverbrauchs über das basale Fastenniveau hinaus, dividiert durch den Energiegehalt der aufgenommenen Nahrung. Dies wird üblicherweise in Prozentzahlen angegeben. Innerhalb der Studie zeigte sich auch, dass gründliches Kauen und langsames Essen sowohl die DIT erhöhen als auch die Blutzirkulation in den Eingeweiden steigern, was zu einer besseren Verdauungs- und Absorptionsaktivität führt.
Es fanden 3 Versuche an unterschiedlichen Tagen statt. Bei der Kontrollstudie erhielten die Probanden alle 30 Sekunden 20 ml flüssige Testnahrung. Beim zweiten Versuch sollten die Probanden dieselbe Testnahrung 30 Sekunden lang im Mund behalten, ohne sie zu kauen. Beim dritten Versuch wurde die Auswirkung des Kauens und Schmeckens erforscht, indem die Probanden dieselbe Testnahrung 30 Sekunden lang kauten und dann herunterschluckten. Dabei wurden vor und nach der Einnahme der flüssigen Nahrung verschiedene Variablen wie Hunger, Sättigung, Gasaustauschvariablen, DIT und splanchnischer Kreislauf gemessen. Die Ergebnisse zeigten keinen Unterschied zwischen den Versuchen bezüglich Hunger- und Sättigungswerten. Doch die DIT stieg nach dem Verzehr an, und zwar abhängig von der Dauer der einzelnen Geschmacksreize und des Kauens. Diese Beobachtung zeigt, dass unabhängig vom Einfluss der Testnahrung vor allem die Dauer des Schmeckens und Kauens im Mund die DIT, den Gasaustausch sowie den splanchnischen Blutfluss der Arterien positiv beeinflussten – und damit auch die Motilität des Magen-Darm-Trakts.
Merke
Gründliches Kauen kann durch die Erhöhung des Energieverbrauchs tatsächlich Einfluss auf das (Über-) Gewicht ausüben.
Der Unterschied im Energieverbrauch pro Mahlzeit ist zwar gering, doch der kumulative Effekt bei mehreren Mahlzeiten täglich, an 365 Tagen im Jahr, zeigt einen beachtlichen Unterschied.
Fazit
Unser Alltag ist in punkto Essen und Trinken durch tief verankerte Gewohnheiten geprägt. Was wir essen, wann und warum, folgt meist erworbenen, unbewussten Mustern. Durch das Trainieren von gesundheitsförderlichem Kauverhalten geraten Nahrungsverbote und Diäten in den Hintergrund. Inzwischen sind auch technische „Tools“ auf dem Markt, die ein bewusstes Kauverhalten unterstützen. Der „Slow-Eating-Effekt“ zeigt sich dann schließlich in einer besseren Verdauung und Nährstoffaufnahme.
Kernaussagen
Maßnahmen, die ein genussvolles und achtsames Essen fördern, können helfen, Übergewicht und weitere gesundheitliche Folgen wie Diabetes zu verhindern.
Zu schnelles Kauen und Schlucken verhindern, dass sich das Sättigungsgefühl im richtigen Verhältnis zur Energieaufnahme einstellt.
Gründliches Kauen kann durch die Erhöhung des Energieverbrauchs das (Über-)Gewicht beeinflussen.
Idealerweise sollte jeder Bissen bis zu 30-mal gekaut werden.
Kombiniert mit einer abwechslungsreichen Ernährung und ausreichend Bewegung ist das gründliche Kauen eine weitere Möglichkeit, das eigene Gewicht zu regulieren.
Autorin
Johanna Zielinski
Diplom-Ökotrophologin
Sie ist als freie Autorin und Sprecherin tätig.
Literatur
[1] Hamada Y, Hayashi N. Chewing increases postprandial diet-induced thermogenesis. Sci Rep 2021; 11: 23714 DOI: 10.1038/s41598-021-03109-x.
[2] Slavicek G, Soykher M, Gruber H. et al. Fallstudien zur Analyse des Kauens. Teil 1: Die Standardanalyse. Stomatologie 2009; 106: 119-129
[3] Biesalski HK, Grimm P, Nowitzki-Grimm S. Taschenatlas der Ernährung. 8. Aufl.. Stuttgart: Thieme; 2020
[4] Falchi M, El-Sayed Moustafa JS, Takousis P. et al. Low copy numbers of the salivary amylase gene predisposes to obesity. Nature Genetics 2014; 46: 492-497
[5] Leitzmann C, Müller C, Michel P. et al. Ernährung in Prävention und Therapie: Ein Lehrbuch. 3. Aufl.. Stuttgart: Hippokrates; 2009
[6] Hauner H, Wirth A. Adipositas: Ätiologie, Folgekrankheiten, Diagnostik, Therapie. 4. Aufl.. Berlin, Heidelberg: Springer; 2013
[7] Herhaus B, Päßler S, Petrowski K. Stress-related laboratory eating behavior in adults with obesity and healthy weight. Physiol Behav 2018; 196: 150-157
[8] Thomae AM. Bewusst kauen – bewusst entspannen. Z Komplementärmed 2019; 11 (04) 46-50 DOI: 10.1055/a-0960-3752.
[9] Li J, Zhang N, Hu L. et al. Improvement in chewing activity reduces energy intake in one meal and modulates plasma gut hormone concentrations in obese and lean young Chinese men. Am J Clin Nutr 2011; 94: 709-716