von Jürgen Vormann
Zusammenfassung
Die beim Abbau von Proteinen im Körper entstehenden Säuren können durch basische Nahrungsbestandteile sowie die Puffersubstanzen im Blut ausgeglichen werden. Die gegenwärtig übliche Ernährung geht mit einem Säureüberschuss einher, der bes. in Verbindung mit der in zunehmendem Alter abnehmenden Nierenfunktion das Krankheitsrisiko erhöht. Mögliche Folgen einer Übersäuerung sind chronische Niereninsuffizienz, aus der Gicht resultieren kann, sowie ein höheres Risiko für Osteoporose und Diabetes Typ 2. Auch bei der Krebsentstehung wird die Bedeutung eines Ungleichgewichts im Säure-Basen-Haushalt diskutiert. Eine erhöhte Säurelast führt im Bindegewebe zu verringerter Elastizität sowie erhöhter Verletzungsanfälligkeit und löst Schmerzempfinden aus. Mit reichlich Gemüse, Salat und Obst oder basischen Mineralstoffpräparaten kann die Säurebelastung aus proteinreichen Lebensmitteln kompensiert und das Risiko für viele gesundheitliche Probleme reduziert werden.
In wachsendem Umfang erkennt man, dass unsere gegenwärtigen Lebensbedingungen sich erheblich von denen unterscheiden, die während der Zeit vorherrschten, in der sich die Menschheit entwickelte. Neben einer deutlich abweichenden Zusammensetzung an Makronährstoffen besteht ein wichtiger Unterschied zwischen der Ernährung der Steinzeit und der Gegenwart in der Zufuhr von Säuren und Basen. Während des weitaus überwiegenden Teils der Evolutionsgeschichte wurde mit der täglichen Nahrung ein Basenüberschuss zugeführt, während die durchschnittliche gegenwärtige Ernährung einen Säureüberschuss aufweist. Als Folge dieser Ernährung kann sich eine leichte, aber langfristig mit gesundheitlichen Problemen verbundene sog. „geringgradige latente Übersäuerung“ oder „latente Azidose“ entwickeln.
Hauptursache für die Säurebelastung ist nicht die sensorisch wahrnehmbare Säure in der Nahrung, sondern vielmehr sind es Inhaltsstoffe, bei deren Abbau Säure entsteht. Insb. die schwefelhaltigen Aminosäuren Methionin und Cystein aus dem Protein sind für die Säurebelastung verantwortlich.
Für den korrekten Ablauf der biologischen Funktionen ist es wichtig, ein konstantes Verhältnis zwischen Säuren und Basen aufrechtzuerhalten. Ändert sich die Säurekonzentration, hat dies massive Auswirkungen auf die Aktivität von Enzymen oder die Struktur von Zellmembranen. Das gilt sowohl für Zellen und Organe als auch das Blut, das alle Gewebe mit den notwendigen Nährstoffen und Sauerstoff versorgt. Zuviel Säure kann diese Nährstoffversorgung beeinträchtigen. Deshalb ist es wichtig, die Säurekonzentration konstant zu halten, denn schon geringe Abweichungen führen zu massiven Störungen, die u. U. lebensbedrohlich sein können.
Gesundheitliche Folgen der Übersäuerung
Um die Säurelast aus dem Verzehr von Proteinen zu neutralisieren, werden die basischen Bestandteile aus Lebensmitteln benötigt. Sind davon ausreichend vorhanden, ist die Zufuhr von sauren Bestandteilen unproblematisch. Bei gut funktionierender Niere kann der Körper sich bei halbwegs ausgeglichener Ernährung im Säure-Basen-Gleichgewicht halten. Allerdings nimmt mit zunehmendem Alter die Nierenfunktion ab; Erwachsene verlieren ca. 1% Nierenkapazität pro Lebensjahr – ein Prozess, der jede*n trifft. Eine hohe Säurebelastung beeinträchtigt auf Dauer die Funktion der Niere. Die mit zunehmendem Alter nachlassende Nierenfunktion wird dann durch Säurebelastung zusätzlich verstärkt. Als Folge erhöht sich das Risiko einer – noch nicht im Allgemeinwissen angekommenen – Gesundheitsproblematik: einer chronischen Niereninsuffizienz. Untersuchungen aus den USA zeigen, dass bereits jede*r 8. davon betroffen ist. Die Abbauprodukte und Abfallstoffe, welche die Nieren normalerweise über den Urin ausscheiden würden, sammeln sich dann im Blut an und schaden dem Organismus. Insb. gilt das für Harnsäure. Eine hohe Harnsäurekonzentration erhöht das Risiko für äußerst schmerzhafte Gichtanfälle. Gerade eine ausgeglichene Säure-Basen-Bilanz kann dieser Problematik vorbeugen.
Eine akut hohe Säurebelastung kann über Puffersubstanzen im Blut ausgeglichen werden. Wenn diese verbraucht sind, können aus den Knochen Basen freigesetzt werden, die die Pufferkapazität des Blutes wieder herstellen. Langfristig leidet dadurch bei einer chronischen Säurebelastung die Festigkeit der Knochen. Wird das Skelettsystem immer wieder mit Säure belastet, ohne dass verlorene Basen wieder aufgefüllt werden, so erhöht sich das Osteoporoserisiko erheblich.
Eine weitere um sich greifende Gesundheitsproblematik kann mit der Säurebelastung in Verbindung gebracht werden: die Diabetes-Epidemie. Neue, umfangreiche Untersuchungen zeigen, dass die Wahrscheinlichkeit für einen Diabetes Typ 2 (Altersdiabetes) ansteigt, je höher die Säurebelastung durch die Nahrung ist. Ursache könnte eine verminderte Wirksamkeit des Hauptstoffwechselhormons Insulin bei höherer Säurekonzentration sein.
Grundsätzlich gilt, dass eine Säurebelastung im Blut sofort kompensiert wird. Etwas anders sieht die Situation allerdings im Bindegewebe aus. Aufwendige Untersuchungen konnten zeigen, dass allein schon eine relativ geringfüge Belastung der Wadenmuskulatur in der direkten Umgebung der Muskelfasern eine deutlich messbare Ansäuerung (gemessen als Abfall des pH-Wertes) hervorruft. Bei Ruhe dauerte es dann bis zu 30 Min., bis sich der extrazelluläre pH-Wert wieder normalisiert hatte. Vermeiden konnte man den pH-Abfall durch eine hohe Basenzufuhr. Basenreiches Essen schützt also vor Änderungen des pH-Wertes im Bindegebe. Wenn lokal im Bindegewebe eine Säurelast nicht schnell durch ausreichend Basen neutralisiert wird, führt das zu einer veränderten Wasserbindung der dort für die Struktur verantwortlichen Proteine. Die Wasserbindung ist jedoch für die Elastizität des Bindegewebes von bes. Bedeutung. Als Folge einer Säurebelastung ist das Bindewebe dann weniger mechanisch verformbar und verletzungsanfälliger.
Die erhöhte Säurelast im Bindegewebe hat weitere Konsequenzen: In den letzten Jahren hat die Wissenschaft herausgefunden, dass das Schmerzempfinden erheblich durch eine lokale Erhöhung der Säurekonzentration ausgelöst wird. Inzwischen kennt man verschiedene Schmerzrezeptoren, die v. a. dann anfangen Schmerzsignale zu senden, wenn es in ihrer Umgebung sauer wird. Die dafür verantwortliche Säure muss aber nicht notwendigerweise aus der Nahrung stammen, auch im Stoffwechsel entstehen laufend saure Stoffwechselendprodukte. Insb. bei Entzündungsprozessen kann es zu solcher Säurebildung kommen. Ist dann die Pufferkapazität im Gewebe (durch säurelastige Ernährung) bereits reduziert, wird die für die Erregung der Schmerzrezeptoren notwendige Säurekonzentration eher erreicht. Viele Schmerzprozesse wie z. B. chronische Rückenschmerzen oder Migräne werden somit durch hohe Säurebelastung verstärkt.
Sogar im Krebsgeschehen kann ein Ungleichgewicht im Säure-Basen-Haushalt eine wichtige Bedeutung haben. Es ist seit langem bekannt, dass Tumorzellen ihren Stoffwechsel so umstellen, dass sie vermehrt Säure in ihre Umgebung abgeben. Eine Folge dieser Ansäuerung ist die Schädigung umgebender „normaler“ Zellen. Wenn diese absterben, entsteht Platz, der dem Tumor das Wachsen ermöglicht. Gelingt es, ausreichend Basen an die Tumorzellen heranzubringen und die Säure zu neutralisieren, kann auch dem Tumorwachstum entgegengewirkt werden. Im Körper entstehen laufend Krebszellen; normalerweise gelingt es ihnen aber nicht, sich zu einem Tumor zu entwickeln. Ein Faktor, der darüber entscheidet ob dieses passiert, könnte sein, dass mit ausreichender Pufferkapazität die lokalen Schäden durch Säure vermieden werden und andere Mechanismen Zeit bekommen, die Tumorzellen zu entfernen. Ein ausgeglichener Säure-Basen-Haushalt kann somit möglicherweise sogar einen Schutzeffekt im Krebsgeschehen darstellen.
Basische Ernährung
Generell kann man sagen, dass eiweißreiche Lebensmittel wie Fleisch, Wurst, Käse, Fisch aber auch Getreideprodukte einen Säureüberschuss liefern. Dagegen bringen praktisch alle Gemüse-, Salat- und die meisten Obstsorten einen Basenüberschuss.
Sie beinhalten zwar auch Säure, die man (z. B. in Zitronen) schmecken kann, aber sie enthalten noch viel mehr Basen, die geschmacklich nicht wahrzunehmen sind.
Gemüse, Salat und Obst sind somit in der Lage, eine Säurebelastung aus proteinreichen Lebensmitteln zu kompensieren. Allerdings muss man eine wesentlich größere Portion von basischen Lebensmitteln essen, um die Säurelast z. B. eines Steaks auszugleichen. Im Allgemeinen kann man davon ausgehen, dass man etwa die 4-fache Menge von Gemüse oder Salat im Vergleich zur Menge von Steak oder Fisch essen müsste. Man kann den Säure-Basen-Haushalt auch durch gezielte Zufuhr von basischen Mineralstoffpräparaten entlasten.
Das Risiko, viele gesundheitliche Probleme zu erleiden, könnte man durch ausreichende Basenzufuhr vermeiden. Wenn die Säurelast, die über die Nahrung in den Körper eingebracht wird, durch eine gleiche Menge von Basen neutralisiert wird, müssen die beschriebenen Folgen nicht auftreten.
Autor
Prof. Dr. rer. nat. Jürgen Vormann
Promovierter Ernährungswissenschaftler
Seine Hauptarbeitsgebiete sind Biochemie und Pathophysiologie von Mineralstoffen, Spurenelementen und Vitaminen, Säure-Basen-Haushalt.