GastroenterologiePhytotherapeutika in medizinischen Leitlinien zur Behandlung gastroenterologischer Erkrankungen

Nationale Leitlinien empfehlen eine Vielzahl von Phytotherapeutika als wirksam und sicher für die Behandlung gastroenterologischer Erkrankungen.

Inhalt
Männlicher Arzt mit Medizinbuch und Phytotherapeutika auf dem Tisch
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Bei Morbus Crohn nicht besser als Placebo: Präparate aus Weihrauch.

Kurz gefasst

Die zunehmende Beliebtheit und wachsende Wirksamkeitsevidenz führen dazu, dass Phytotherapeutika vermehrt in medizinische Leitlinien integriert werden. Entsprechend der aktuellen wissenschaftlichen Datenlage werden gerade bei gastroenterologischen Erkrankungen einige Empfehlungen für die Anwendung von Phytotherapeutika ausgesprochen. Phytotherapeutika wie Pfefferminzöl oder Kümmelölauflagen werden beispielsweise beim Reizdarmsyndrom zur Symptomlinderung empfohlen. Bei chronischer Obstipation und Colitis ulcerosa werden Ballaststoffe wie Flohsamen empfohlen. Bei Colitis ulcerosa kann die Kombination von Myrrhe, Kamillenblütenextrakt und Kaffeekohle komplementär in der remissionserhaltenden Behandlung eingesetzt werden. Einige Phytotherapeutika (z.B. Wermut [Artemisia absinthium], Weihrauch [Boswellia serrata]) zeigen Wirksamkeitshinweise zur Behandlung von Morbus Crohn, jedoch ist die Datenlage noch nicht ausreichend für Empfehlungen. Einige klare Empfehlungen für den Einsatz von Phytotherapeutika zur Behandlung gastroenterologischer Erkrankungen zeigen ihr großes Wirkspektrum. Aufgrund ihrer zusätzlich hohen Verträglichkeit können sie sehr gut komplementär zu herkömmlichen Medikamenten eingesetzt werden. Dennoch sind weitere qualitativ hochwertige Wirkungsstudien für weitere Empfehlungen erforderlich.

Die Behandlung verschiedener Erkrankungen mit Phytopharmaka hat in Deutschland eine lange Tradition [1] [2]: Hildegard von Bingens (1098–1179) „Physica“ [3], die Arbeiten von Leonhart Fuchs (1501–1566) und Sebastian Kneipp (1821–1897) [4] sind dafür nur einige Beispiele. Im Jahr 2023 gaben Patient*innen in Deutschland insgesamt 1459 Mio. Euro für Phytopharmaka aus [5], wovon jedoch nur knapp 16% des Jahresumsatzes (ca. 226 Mio. Euro) auf einer ärztlichen Verordnung beruhen [5]. In der Selbstmedikation spielen Phytotherapeutika insbesondere bei funktionellen und chronischen Magen-Darm-Erkrankungen demnach eine große Rolle [1]. 139 Mio. Euro Umsatz wurden bei Magen- und verdauungsfördernden Phytotherapeutika [6] im Jahr 2023 verzeichnet. In der vorliegenden Arbeit soll ein Überblick über die aktuell in den nationalen Leitlinien der AWMF zur Behandlung von gastroenterologischen Erkrankungen zu findenden Empfehlungen gegeben werden (ein vollständiger Überblick findet sich bei Utz, Bittel & Langhorst, 2024 [7]).

Beim Screening der relevanten Leitlinien zu gastroenterologischen Erkrankungen fanden sich bei 10 der 21 Leitlinien phytotherapeutische oder quantitativ definierte ernährungsbezogene Inhalte. Dies beinhaltete insgesamt 20 Empfehlungen oder Statements und 36 Erwähnungen im Hintergrundtext. Die nationalen Leitlinien (AWMF) stützen ihre Empfehlungen primär auf Metaanalysen und RCTs. Hierbei repräsentieren Evidenzgrad 1 eine hohe, Evidenzgrad 2 eine moderate und Evidenzgrad 3–5 eine schwache Evidenz. Abgeleitet vom Evidenzgrad ergeben sich Empfehlungsgrad A, der einer starken Empfehlung („soll“) entspricht, Empfehlungsgrad B, der einer Empfehlung („sollte“) entspricht und Empfehlungsgrad 0, der einer offenen Empfehlung („kann“) entspricht. Die Sicherheit und Verträglichkeit der Phytopharmaka wird anhand der verfügbaren Daten aus klinischen Studien, Zulassungsbehörden und Pharmakovigilanz-Datenbanken in absteigender Stärke bewertet (SEHR GUT, GUT, TOLERABEL und UNGENÜGEND).

Nationale Leitlinien empfehlen eine Vielzahl von Phytotherapeutika als wirksam und sicher für die Behandlung gastroenterologischer Erkrankungen wie chronische Obstipation, Colitis ulcerosa, Morbus Crohn, Reizdarmsyndrom, kolorektales Karzinom und Magenkarzinom (eine vollständige Übersichtstabelle zur Evidenz, Dosis und Verträglichkeit/Sicherheit der in Leitlinien empfohlenen Phytotherapeutika bei gastroenterologischen Erkrankungen findet sich bei [7]).

Jedoch wird in den Leitlinien auch vereinzelt von der Anwendung von Phytotherapeutika abgeraten. Bei Morbus Crohn [8] wird von medizinischem Cannabis zur Therapie von akuten Entzündungen abgeraten. Beim Magenkarzinom können Misteltherapie oder chinesische Arzneidrogenmischungen nicht zur Lebensverlängerung angewendet werden [9].

Die Sicherheit und Verträglichkeit der Phytotherapeutika wurde als überwiegend SEHR GUT bis TOLERABEL, Spanischer Pfeffer (Capsicum annuum; Cayenne Pfeffer) (deutliche Abbruchraten aufgrund von Schmerzen) [10] und Heilpilze bzw. deren Inhaltsstoff Polysaccharid K (Trametes versicolor) (seltene, aber bedrohliche Nebenwirkungen) [11] hingegen eher als UNGENÜGEND eingestuft.

Phytotherapeutika in Empfehlungen und Hintergrundtexten gastroenterologischer Leitlinien

Reizdarmsyndrom

In der S3-Leitlinie „Definition, Pathophysiologie, Diagnostik und Therapie des Reizdarmsyndroms“ (Stand 2021) [10] wird der Einsatz von Pfefferminzöl (Mentha×piperita) stark empfohlen, da es sich als wirksam zur Behandlung vor allem von Schmerzen und Blähungen erwiesen hat ([Abb. 1]). Die Empfehlung wurde aus einer Metaanalyse mit 9 RCTs [12] und 2 weiteren RCTs [13] [14] abgeleitet. Es traten nur leichte und vorübergehende unerwünschte Nebenwirkungen auf (z. B. Sodbrennen). In Deutschland stehen einige als Arzneimittel zugelassene Pfefferminzölpräparate zur Verfügung. Ebenfalls wirksam zur Symptomlinderung haben sich Berberin, STW-5 (Iberis amara, Angelikawurzel, Kamillenblüten, Kümmelfrüchte, Mariendistelfrüchte, Melissenblätter, Pfefferminzblätter, Schöllkraut, Süßholzwurzel), STW-5-II (Iberis amara, Kamillenblüten, Kümmelfrüchte, Melissenblätter, Pfefferminzblätter, Süßholzwurzel), tibetanisches Padma Lax oder warme Kümmelölauflagen (Carum carvi) erwiesen. Es wird deswegen empfohlen, sie individuell ins Behandlungskonzept zu integrieren. Zwei qualitativ hochwertige Metaanalysen [15] [16] konnten jedoch für die meisten der genannten Präparate jeweils nur ein RCT identifizieren.

Berberin zeigt sich in einem RCT als wirksam und verträglich bei Diarrhö und Schmerzen beim Subtyp Diarrhö (RDS-D) und hat insgesamt einen positiven Effekt auf die Lebensqualität [17]. Das tibetanische Phytopharmakon Padma Lax (Gemisch aus 15 Pflanzenextrakten, beinhaltet u. a. Anthrachinone und Mineralien wie Natriumsulfat und Magnesium) zeigte sich in einem RCT beim Subtyp Obstipation (RDS-O) als wirksam hinsichtlich Schmerzen, Lebensqualität, Obstipation, Blähungen und des Gefühls einer unvollständigen Entleerung [18]. Die enthaltenen Anthrachinone werden u. a. als kritisch gesehen und Padma Lax ist nur über die Auslandsapotheke erhältlich. Warme Kümmelölauflagen können je nach Subtyp effizient beim Selbstmanagement sein. Beim gemischten Subtyp (RDS-M) zeigte sich ein Effekt der Kümmelölauflagen, beim Subtyp RDS-D hingegen der gleiche Effekt auch bei erwärmtem Olivenöl und bei RDS-O kein Effekt [19]. Kümmelöle sind flüchtig, sodass zusätzlich ein gewisser positiver aromatherapeutischer Effekt entstehen kann. Ein RCT mit STW-5, STW-5-II, Iberis amara und Placebo zeigte insgesamt positive Effekte für STW-5 und STW-5-II, insbesondere auf abdominelle Schmerzen, keine Effekte jedoch für den Monoextrakt aus Iberis amara. Die Wirksamkeit für die unterschiedlichen RDS-Subtypen ist unklar, da keine getrennten Analysen stattgefunden haben [20]. In einer vorläufigen Studie mit Spanischem Pfeffer (Capsicum annuum) zeigten sich keine Unterschiede zu Placebo und zusätzlich deutliche Abbruchraten aufgrund von ansteigenden Schmerzen in der Capsicum-Gruppe [21]. Capsaicinoide verursachen eine passagere C-Faser-Defunktionalisierung des Transient-receptor-potential-vanilloid-1(TRPV1)-Rezeptors, was zu einer initialen Schmerzsteigerung führt, gefolgt von einer passageren funktionellen Desensibilisierung, was zu einer Schmerzreduktion führen kann. Dies sollte in Studien und bei der PatientInnenaufklärung berücksichtigt werden.

Einzelne RCTs zu Erdrauch (Fumaria officinalis) [22], Gelbwurz (Curcuma longa) [22], Aloe vera [ 23], Gwakhyangjeonggisan (Koreanische Arzneidrogenmischung) [24] und einem Ayurveda-Präparat (Murraya koenigii, Punica granatum, Curcuma longa) [25] zeigen keine Hinweise auf eine Überlegenheit vs. Placebo. Ingwerwurzelstock (Zingiber officinalis) zeigte sich in einem RCT bei einer Dosierung von 1g/d als ähnlich wirksam wie Placebo und bei 2 g/d sogar als deutlich weniger wirksam im Vergleich zu Placebo [26]. Johanniskraut (Hypericum perforatum) war in einem RCT der Wirkung von Placebo unterlegen und zeigte keine positiven Effekte auf Reizdarmsymptome und Lebensqualität [27]. Erste Wirksamkeitshinweise zur Schmerzreduktion gibt es für das Präparat Keishikashakuyakuto aus der Kampo-Medizin bei Patienten mit RDS-D (Review mit 2 RCTs) [28]. Einige Rezepturen der TCM zeigen positive Effekte, jedoch können aufgrund der sehr heterogenen Studienlage (Auswahl, Rezepturen, Dosierungen) und der geringen Qualität der Studien keine Therapieempfehlungen gegeben werden [29].

Chronische Obstipation

Chronische Obstipation ist gekennzeichnet durch einen unregelmäßigen und seltenen sowie erschwerten Stuhlgang in Abwesenheit einer physiologischen Abnormalität [30]. Die Leitlinie (S2k) „Chronische Obstipation“ (Stand 2021) [31] empfiehlt, eine Ballaststoffaufnahme von 30 g pro Tag anzustreben. Ballaststoffe können unangenehme, jedoch ungefährliche Begleitsymptome wie z. B. Blähungen und abdominelle Krämpfe haben, weshalb zu einer einschleichenden Therapie geraten wird [32]. Die beste Datenlage (moderate Evidenz, 5 RCTs [32] [33] [34] [35] [36] [37]) existiert dabei zur Einnahme von Flohsamen (Samenhülsen von Plantago ovata), die zu einer Verbesserung der Stuhlkonsistenz, einer Normalisierung der Entleerung, einer Verringerung von Schmerzen und Anstrengung bei der Defäkation führte [32] [34] [35] [37]. Für Chicorée-Inulin (Cichorium intybus) wurde die Wirksamkeit wissenschaftlich nachgewiesen und ein Health Claim der Europäischen Lebensmittelbehörde EFSA für den Einsatz bei chronischer Obstipation ausgesprochen [38]. Weizenkleie (Triticum aestivum) zeigte sich im Rahmen einer Metaanalyse nur teilweise wirksam bei der Wiederherstellung von normalem Stuhlgewicht und Transitzeiten [39]. Pektin scheint ebenfalls eine positive Wirkung zu haben, jedoch gibt es hierzu nur 1 RCT [40]. Ebenfalls aufgrund eingeschränkter Datenlage ist keine Empfehlung zur Anwendung der Pflanzenmixturen STW-5 [20], STW-5-II [20] [1] und für ein traditionelles japanisches Kombinationsphytotherapeutikum aus der Kampo Medizin (Daikenchuto: Zanthoxylum fructus [Japanischer Pfeffer], Zingiberis siccatum rhizoma [verarbeiteter Ingwer], Ginseng radix, Maltosepulver) [41] [42] [43] möglich [Statement]. Eine offene Empfehlung wird für bestimmte Kräuterrezepturen der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) ausgesprochen. Diese sollten jedoch nur bei gesicherter Qualität und Herkunft eingesetzt werden. Studien zu diesen Kräuterrezepturen [44] [45] [46] [47] [48] [49] [50] weisen häufig deutliche Qualitätsmängel auf, sodass die tatsächliche Wirksamkeit unklar bleibt.

Colitis ulcerosa

Die sich zurzeit in Überarbeitung befindende S3-Leitlinie „Colitis ulcerosa – Living Guideline“ (Stand: 2021; Gültigkeit bis 31.08.2022) [51], beinhaltet eine offene Empfehlung für Flohsamen (Plantago ovata). Flohsamen kann komplementär in der remissionserhaltenden Behandlung eingesetzt werden (moderate Evidenz aus einem RCT [52]. Es zeigten sich keine ernsthaften unerwünschten Nebenwirkungen. Verwendet werden können in Deutschland zugelassene Arzneimittel mit Flohsamen. Ebenfalls in der remissionserhaltenden Behandlung wird eine offene Empfehlung für den komplementären Einsatz der Kombination von Myrrhe (Commiphora myrrha), Kamillenblütenextrakt (Matricaria chamomilla) und Kaffeekohle (Coffeae carbo) ausgesprochen. Es existiert in Deutschland ein zugelassenes Arzneimittel (Myrrhinil Intest). Ein RCT [53], eine Follow-up-Fragebogenstudie [54] und eine große Kohortenstudie [55] zeigen die Wirksamkeit der Mischung und ihre gute Toleranz. Für die Therapie mit Curcumin komplementär zu einem Aminosalizylat liegen Studien (drei qualitativ hochwertige RCTs [56] [57] [58]) mit positiven Ergebnissen in der Remissionsinduktion sowie in der Remissionserhaltung vor. Curcumin (aus Curcuma longa, radix) steht in Deutschland nicht als Arzneimittel zur Verfügung [Statement].

Weitere unkonventionelle Verfahren (Punica granatum [59]; Boswellia serrata [60] [61], Andrographis paniculata/Kalmegh als effektive Alternative zu Mesalazin [62] [63]; Weizengrassaft [64]; Silymarin/Extrakt aus Silybum marianum [65]; ein TCM-Präparat[2] [66], Vaccinium myrtillus [ 67]) können trotz positiver Hinweise aufgrund unzureichender Datenlage aktuell nicht empfohlen werden.

Morbus Crohn

In der S3-Leitlinie „Diagnostik und Therapie des Morbus Crohn“ (Stand: 2021) [8] werden Phytotherapeutika größtenteils im Hintergrundtext erwähnt. Als phytotherapeutische Verfahren mit nicht ausreichender Datenlage werden Wermut (Artemisia absinthium; positive Effekte [68] [69]) und Weihrauch (Boswellia serrata; keine bessere Wirkung als Placebo [70] [71]) genannt ([Abb. 2]). Bei Patient*innen mit aktivem Morbus Crohn sollte Cannabis nicht zur Therapie der akuten Entzündung eingesetzt werden. Die aktuelle Datenlage (3 RCTs mit 93 Teilnehmenden) erlaubt keine sichere Aussage, ob Cannabis-sativa-basierte Arzneimittel und medizinisches Cannabis einen Einfluss auf die entzündliche Aktivität haben [72]. Cannabis-basierte Arzneimittel und medizinisches Cannabis können für die abdominelle Schmerztherapie erwogen werden, wenn die empfohlenen Schmerzmedikamente nicht ausreichend wirksam oder kontraindiziert sind bzw. nicht vertragen werden. Bei ausgeprägtem und klinisch relevantem Appetitverlust mit daraus resultierendem Gewichtsverlust kann ein Therapieversuch mit medizinischem Cannabis erwogen werden, wenn eine adäquate Behandlung der Grunderkrankung und eine ernährungstherapeutische Mitbehandlung zu keiner ausreichenden Symptomreduktion geführt haben.

Kolorektales Karzinom

In der S3-Leitlinie „Kolorektales Karzinom“ (Stand 2019, in Überarbeitung) [11] werden hauptsächlich im Hintergrundtext phytotherapeutische Therapieoptionen diskutiert. Trotz kontroverser Datenlage [73] [74] [75] [76] [77] (hauptsächlich basierend auf Kohortenstudien) ist die Evidenz ausreichend, zur Risikosenkung eines kolorektalen Karzinoms zu empfehlen, dass die Ballaststoffaufnahme möglichst 30 g pro Tag betragen sollte. Therapie mit Mistelextrakten (Viscum album) wird als eine der häufigsten komplementären Therapien genannt, jedoch zeigen Reviews die unzureichende Qualität der Studien auf bzw. bei methodisch gut durchgeführten Studien nur schwache Hinweise auf eine Verbesserung der Lebensqualität oder einen Überlebensvorteil durch komplementäre Misteltherapie [78] [79] [80]. Zwei kleine Studien zu Grünteeextrakt (Camellia sinensis) deuten auf eine antitumorale Wirkung hin, jedoch reichen die präklinisch-experimentellen Daten nicht aus, um ihn außerhalb der Studien einzusetzen [81] [82]. Studien zu Heilpilzen zeigen widersprüchliche Befunde zu deren Wirksamkeit [83] [84] und aufgrund seltener, aber bedrohlicher Nebenwirkungen wird ihr Einsatz nicht empfohlen.

Magenkarzinom

Die S3-Leitlinie „Magenkarzinom – Diagnostik und Therapie der Adenokarzinome des Magens und ösophagogastralen Übergangs“ (Stand 2019, in Überarbeitung) [9] gibt eine offene Empfehlung für den Einsatz von Misteltherapie (Viscum album) mit dem Ziel der Verbesserung der Lebensqualität, nicht aber der Lebensverlängerung. Es gibt schwache Hinweise auf die Verbesserung der Lebensqualität durch Misteltherapie komplementär zur Chemotherapie [80] [85] [86]. Eine Metaanalyse [87] und ein systematischer Review [88] schlussfolgern, dass die meisten Studien von unzureichender Qualität sind, was zu einer schwachen Evidenzbewertung führt. Zusätzlich gibt es keine prospektiven Daten zur Langzeitanwendung und deren Folgen und es ist ungeklärt, ob es nicht auch zu klinisch negativen Immuneffekten kommen kann [89] [90]. Starker Konsens besteht, dass chinesische Arzneidrogenmischungen bei Magenkarzinomen nicht angewendet werden sollten. Ein Cochrane Review (85 Studien, ca. 7000 Patient*innen) zeigt für chinesische Kräutermischungen der TCM[3] keine Hinweise für deren Wirksamkeit bei Magenkarzinom [91]. Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass die Beurteilung vor dem Hintergrund einer sehr geringen Qualität der eingeschlossenen rein chinesischen Studien zustande kam. Begrenzte und schwache Hinweise zeigten, dass einige der Rezepturen in Kombination mit Chemotherapie Leukopenie abschwächen und durch die Chemotherapie verursachte unerwünschte Ereignisse im Verdauungssystem verbessern konnten. Große, gut konzipierte klinische Studien sind hier nötig.

Präklinische experimentelle Daten weisen auf eine antitumorale Wirkung von sekundären Pflanzenstoffen wie Flavonoide (z. B. EGCG aus grünem Tee, Curcumin, Quercetin) und Terpene hin. Da jedoch über die Interaktionen mit Chemotherapeutika wenig bekannt ist, sollte der parallele Gebrauch vermieden werden [92].

Für Immunstimulanzien wie Echinacea, Aloe, Noni oder fermentierter Weizenkeimextrakt liegen keine klinischen Studien vor, die deren supportiven Einsatz begründen könnten.

Ergänzungen zu allen hier genannten phytotherapeutischen Empfehlungen/Statements und weitere Empfehlungen in Leitlinien zu anderen gastroenterologischen Erkrankungsbildern finden sich in [7].

Fazit

Einige deutliche Empfehlungen in den AWMF-Leitlinien belegen das hohe Potenzial von Phytotherapeutika zur Behandlung gastroenterologischer Erkrankungen, verbunden mit einer hohen Sicherheit und Verträglichkeit. Aufgrund ihres breiten Wirkspektrums eignen sich Phytotherapeutika hervorragend als komplementäre Therapie zu konventionellen Therapieansätzen, insbesondere bei funktionellen und chronischen Erkrankungen, wo dieser Ansatz besonders erfolgreich zu sein scheint. Darüber hinaus scheint die präbiotische Wirkung einiger ballaststoffreicher Pflanzen einen besonders positiven Effekt bei chronischen Darmerkrankungen zu besitzen.

Aufgrund der sehr hohen Popularität des Einsatzes von Phytotherapeutika bei Patient*innen mit gastroenterologischen Erkrankungen, aber nur sehr geringer ärztlicher Versorgungsraten, ist es wichtig, vorhandene Evidenzen zur Phytotherapie systematisch aufzuarbeiten und in adäquate Empfehlungen in medizinischen Leitlinien zu integrieren. Weitere methodisch gut durchgeführte Wirkungsstudien als Evidenzgrundlage und ein konsequenter Einbezug von phytotherapeutischen Inhalten bei der Literaturrecherche zur Leitlinienerstellung sind nötig, um noch mehr evidenzbasierte Empfehlungen und Einschätzungen zur aktuellen Studienlage bei Phytotherapeutika aussprechen zu können. Für die in den Leitlinien verwendeten Studien sollte dabei die Qualität der Rohdrogen gesichert sein und die Rezeptur klar beschrieben werden. Wichtig wären hierbei Pflanzenname, der verwendete Pflanzenteil, das Extraktionsmittel, die Dosierung und bei Fertigprodukten das Droge-Extrakt-Verhältnis sowie die Applikationsform. Die Beschaffung qualitativ hochwertiger Präparate bleibt bei Phytotherapeutika in Deutschland eine Herausforderung. Eine Kontrolle von Qualität und Einfuhr der Rohdrogen über deutsche Firmen ist jedoch möglich. Schwierigkeiten bestehen auch in der Standardisierung von Wirkkonzentrationen und den teilweise noch nicht vollständig bekannten Wirkmechanismen und Interaktionen [93].

Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass ein Fehlen von Phytotherapie-Empfehlungen in Leitlinien nicht direkt darauf schließen lassen, dass Phytotherapeutika nicht wirksam sind. Einige der genannten Leitlinien befinden sich zurzeit in Überarbeitung, sodass die Möglichkeit besteht, dass dort den phytotherapeutischen Verfahren mehr Raum gegeben wird, falls in der Zwischenzeit mehr Evidenz gesammelt werden konnte.

1 Hinweis: Die pflanzlichen Kombinationspräparate STW-5 und STW-5-II wurden zudem nur bei Reizdarmsyndrom untersucht und es wurde dort keine getrennte Analyse der Subtypen gerechnet. Die Schlussfolgerungen für chronische Obstipation erfolgen somit auf der Grundlage, dass bei der Studie auch Reizdarmpatienten mit dem Leitsymptom Obstipation eingeschlossen waren und von den Pflanzenmixturen profitierten.

2 Bestehend aus Radix sophorae flavescentis, Indigo naturalis, Radix sanguisorbae, Rhizoma bletillae, Radix glycyrrhizae etc.

3 meist 7–15 verschiedene Kräuter: Rhizoma curcumae, Herba hedyotis diffusae, Rhizoma paridis, Astragali radix, Radix clematidis, Fructus brucceae [antitumor Agenten], Schale der Citrus reticulata, Astragalus sinicus radix, Codonopsis radix, Spatholobus-Stamm, Angelicae sinensis radix, Flos carthami, Salvia miltiorrhiza [gegen Nebenwirkungen]

Prof. Dr. Jost Langhorst

Dr. Sandra Utz

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