Telemedizin bei Diabetes und HerzerkrankungenLebensstiländerungen per App: Positive Effekte gering

Der Hype um Lebensstil-Apps müsse relativiert werden, sagt Prof. Martin Halle. Eine große Studie zur Telemedizin bei Diabetes und KHK zeigt: Die positiven Effekte sind gering.

Smartphone, Apfel, Maßband
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Lässt sich mithilfe von Telemedizin und Trainings-Apps die Gesundheit von Menschen mit Typ-2-Diabetes und KHK verbessern? In einer Studie waren die Effekte eher ernüchternd.

Lässt sich mithilfe von Telemedizin und Trainings-Apps die Gesundheit von Menschen mit Typ-2-Diabetes und Koronarer Herzerkrankung verbessern? Eine große Studie zeigt: Die positiven Effekte sind gering. Studienleiter Prof. Martin Halle von der TU München sieht in den Ergebnissen deutliche Hinweise auf falsche Prioritäten in der medizinischen Versorgung. Eine direkte Betreuung durch medizinisches Fachpersonal bleibe unverzichtbar. 

Die Forscher*innen haben untersucht, ob Trainings-Apps und Telemedizin die Gesundheit von Herz- und Diabetespatienten verbessern können. In einer zweiten Phase wurde erforscht, ob die Effekte über einen längeren Zeitraum bestehen bleiben.

Studie: Blutzucker und Lebensstil verbessern per App?

Patient*innen mit koronarer Herzkrankheit (KHK) und Typ-2 Diabetes haben ein erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Komplikationen. Ziel der Studie war es, den Blutzucker zu senken und per App die Änderung des Lebensstils zu fördern.

Im Fokus standen Bewegungstraining, Ernährungsberatung und Gesundheitsbildung. So sollten langfristige Verbesserungen erreicht werden.

An der randomisierten kontrollierten Studie nahmen 502 Herz- und Diabetes-Patient*innen teil. Das Durchschnittsalter lag bei 68 Jahren und 84% der Patienten waren Männer.

  • Die Kontrollgruppe erhielt eine reguläre medizinische Versorgung mit Ernährungsempfehlungen und Infomaterial zu körperlicher Aktivität.
  • Die Interventionsgruppe nutzte zusätzlich ein App-gestütztes Sportprogramm und personalisierte Ernährungstipps. In den ersten 6 Monaten wurde die Gruppe außerdem durch regelmäßige Telefonate begleitet. In einer zweiten Phase sollten sie die Übungen selbständig befolgen. 

Ergebnisse: Mitwirkung der Teilnehmer*innen wichtig

  • Nach 6 Monaten zeigte sich eine geringe, aber signifikante Reduktion des Langzeitblutzuckers um -0,13 Prozentpunkte im Vergleich zur Kontrollgruppe.
  • Nach 12 Monaten war kein signifikanter Unterschied mehr zwischen beiden Gruppen feststellbar.
  • Das Körpergewicht wurde in der Interventionsgruppe signifikant reduziert.
  • Es verbesserten sich mentales Wohlbefinden, Ernährungsverhalten und Gesundheitsbildung.
  • Blutdruck, Lipidwerte und körperliche Aktivität unterschieden sich nicht im Gruppenvergleich. 
  • Einen Einfluss auf andere Risikofaktoren wie Blutdruck oder Cholesterinwerte hatte das Training nicht. 

In der Interventionsgruppe arbeiteten viele Teilnehmer*innen nicht mit oder starteten das Programm erst gar nicht. Grund dafür waren häufig technische Barrieren: Mehr als zwei Drittel der Teilnehmenden gaben an, den Umgang mit Apps und Geräten allgemein „eher schwierig“ zu finden.

Betrachtet man nur Teilnehmende, die tatsächlich die Trainings- und Ernährungsvorgaben befolgt haben, liegt die Verbesserung bei fast -0,3 Prozentpunkte. Das ist auch aus klinischer Sicht relevant. Zudem zeigten sich hier auch statistisch signifikante Effekte auf Körpergewicht, Bauchumfang und einen der Blutfettwerte, die Triglyceride.

Nach Ende der zweiten Phase waren im Vergleich zur Kontrollgruppe keine Vorteile mehr festzustellen. 

Fazit: "Viel Aufwand für wenig Ertrag" 

Große Studien wie diese sind wichtig, um den tatsächlichen Erfolg von App-basierten Ansätzen zu messen. Deutschland ist das erste Land in Europa, in dem digitale Leistung als ärztliche Leistung von den Krankenkassen honoriert wird. Auch durch den Mangel an Ärzt*innen werde laut Halle viel Hoffnung in Gesundheitsförderung durch Apps und ähnliche Angebote gesetzt.

„Die individualisierte Begleitung, die wir hier erprobt haben, war sehr aufwendig“, sagt Halle. „Die Auswertung zeigt, dass dieser Aufwand wenig Ertrag geliefert hat.“ Zum Teil liege das sicher, daran, dass die Betroffenen in einem Alter seien, in dem es vielen schwerfalle, sich mit neuen Technologien zurechtzufinden. „Ältere Menschen sind aber nun einmal die Gruppe, die von diesen und ähnlichen Erkrankungen besonders betroffen sind.“

„Unsere Ergebnisse verdeutlichen, dass eine ganzheitliche Herangehensweise notwendig ist. Der aktuelle App-Hype muss relativiert werden", sagt Halle. Die persönliche Betreuung bleibe unverzichtbarer Bestandteil der Patientenversorgung und: "Ein rein App-basierter Ansatz ist zumindest für das deutsche Gesundheitssystem keine Lösung."

Quelle:  Technische Universität München