
Enge vertrauensvolle Beziehungen, soziale Interaktion, gemeinsame Aktivitäten haben Potenzial, den kognitiven Abbau im Alter zu verlangsamen.
Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen haben ein hohes Risiko, sozial isoliert von Freunden und Familienangehörigen zu sein. Freundschaften scheinen den Verlauf der kognitiven Fähigkeiten mehr zu beeinflussen als familiäre Bindungen. Umso wichtiger sei es, für diese Menschen spezifische Angebote zu schaffen.
Das berichten Forschende des Digitalen Demenzregisters Bayern (digiDEM Bayern).
Risikofaktoren für Demenz
Neben Hörverlust, Bluthochdruck und Diabetes gehört soziale Isolation bei älteren Menschen zu den veränderbaren Risikofaktoren für Demenz. Forschende haben nun den Zusammenhang zwischen sozialer Isolation und kognitiven Beeinträchtigungen erforscht.
Mangelt es an sozialen Interaktionen oder fehlen soziale Bindungen, gelten Menschen als sozial isoliert. „Aktuelle internationale Studien zeigen, dass auch bei kognitiv gesunden älteren Menschen die geistige Leistungsfähigkeit abnimmt, sobald sich die Betroffenen vom gesellschaftlichen Leben zurückziehen“, sagt Erstautorin Lisa Laininger.
Soziale Isolation kann den Rückgang kognitiver Funktionen begünstigen.
Daten von Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen
In ihrer Studie werteten die Forschenden über einen Zeitraum von 12 Monaten die Daten von 106 Personen aus. Alle Befragten zeigten bereits Anzeichen kognitiver Beeinträchtigungen, waren aber nicht auf die Unterstützung von pflegenden An- und Zugehörigen angewiesen.
Erhoben wurden die Daten im Versorgungsforschungsprojekt digiDEM Bayern, einer Langzeituntersuchung mit Teilnehmenden aus allen Regierungsbezirken Bayerns.
Ausmaß der sozialen Isolation
Die Wissenschaftler*innen gingen der Frage nach dem Ausmaß der sozialen Isolation nach – ein bislang noch wenig untersuchter Aspekt. Es zeigte sich:
- 42,5 Prozent der Teilnehmenden wiesen ein erhöhtes Risiko für ein inadäquates Netzwerk aus Freunden auf.
- Im Unterschied dazu lag das Risiko der sozialen Isolation gegenüber Familienmitgliedern bei nur 17 Prozent.
Freund*innen wichtiger als Familie
Die Forschenden untersuchten auch, inwiefern sich das Risiko der sozialen Isolation auf den Verlauf der kognitiven Fähigkeiten auswirkt. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass Freundschaften für die kognitiven Fähigkeiten wichtiger zu sein scheinen als familiäre Bindungen, so Leininger.
Dafür kann es eine Vielzahl an Gründen geben. In Freundschaften neige man eher dazu, gemeinsam an sozialen Aktivitäten teilzunehmen oder sich zwanglos auszutauschen. Co-Autor Prof. Peter Kolominsky-Rabas ergänzt: „Dies fördert die kognitive Leistungsfähigkeit. Zudem können gleichaltrige Freund/-innen hinsichtlich des Gesundheitsbewusstseins auch als Vorbild dienen und zum Beispiel zur Teilnahme an sportlichen Aktivitäten motivieren.“
In ihrer Studie haben die Forschenden nur den Zusammenhang zwischen dem Grad der Zurückgezogenheit und der Kognition untersucht. Werden andere klassische Risikofaktoren für Demenz wie Alter, Geschlecht oder Bildungsgrad in der Auswertung berücksichtigt, sind die Einflüsse der Netzwerke von Freund*innen auf die Kognition nicht mehr eindeutig nachweisbar. „In diesem Fall scheinen diese Faktoren einen größeren Einfluss auf die kognitiven Fähigkeiten zu haben“, sagt Laininger.
Aufmerksamkeit für Freundschaften im Alter
Dennoch erfordere das Thema „Freundschaften im Alter“ speziell für Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen besondere Aufmerksamkeit. „Das Risiko, enge und vertrauensvolle Beziehungen zu Menschen außerhalb ihres familiären Umfelds nicht mehr aufrechterhalten zu können, scheint für diese Personengruppe besonders hoch zu sein“, so Kolominsky-Rabas.
Schwierigkeiten, sozial zu interagieren oder erste Anzeichen von Gedächtnisverlust – wenn man sich etwa nicht mehr an Termine zu erinnern vermag – können das Sozialverhalten beeinträchtigen und den individuellen Rückzug fördern.
Zielgruppenspezifische Angebote schaffen
Für die Forschenden ist ein entscheidender Faktor, dass für diese Personengruppe entsprechende Angebote ins Leben gerufen werden. „Um Menschen, die bereits von kognitiven Beeinträchtigungen betroffen sind, dabei zu unterstützen, bestehende Freundschaften aufrechtzuerhalten oder sogar neue, nicht verwandtschaftliche Beziehungen aufzubauen, ist es notwendig, zielgruppenspezifische Angebote wie Kunst- oder Bewegungsaktivitätsgruppen für Menschen mit und ohne Demenz oder kognitive Beeinträchtigung zu schaffen“, fasst Lisa Laininger zusammen.
Soziale Isolation gehört – wie Rauchen, Bewegungsmangel oder Diabetes – zu den Risikofaktoren für Demenz, die veränderbar sind.
Quelle: Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg