
Man geht heute davon aus, dass das Gehirn im Schlaf die Ereignisse des Tages erneut abspielt und die Informationen aus dem Sitz des Kurzzeitgedächtnisses, dem Hippokampus, in das Langzeitgedächtnis in der Hirnrinde verschiebt.
Seit fast 20 Jahren weiß man, dass langsame, synchrone Erregungswellen während des Tiefschlafs die Gedächtnisbildung unterstützen. Unbekannt war bisher, warum das so ist. Forschende der Charité – Universitätsmedizin Berlin liefern nun einen Erklärungsansatz:
- Demnach machen die langsamen Wellen die Hirnrinde, den Sitz des Langzeitgedächtnisses, besonders empfänglich für Informationen.
Die aus einer Studie gewonnenen Erkenntnisse könnten zur Optimierung von Behandlungsansätzen beitragen, die die Gedächtnisbildung von außen unterstützen sollen.
Wie entstehen dauerhafte Erinnerungen?
Man geht davon aus, dass das Gehirn im Schlaf die Ereignisse des Tages erneut abspielt und die Informationen aus dem Sitz des Kurzzeitgedächtnisses (Hippokampus) in das Langzeitgedächtnis in der Hirnrinde verschiebt. Besonders wichtig für diese Gedächtnisbildung sind die sog. „Slow Waves“: langsame, synchrone Erregungswellen in der Hirnrinde, die in der Tiefschlafphase auftreten und per EEG messbar sind. Sie sind darauf zurückzuführen, dass die elektrische Spannung vieler Nervenzellen gleichzeitig einmal pro Sekunde auf- und abschwingt.
„Wir wissen seit vielen Jahren, dass diese Spannungsschwankungen zur Gedächtnisbildung beitragen“, erklärt Studienleiter Prof. Jörg Geiger. „Denn wenn man den Slow-Wave-Schlaf künstlich von außen verstärkt, verbessert sich die Gedächtnisleistung. Wir wussten bisher allerdings nicht, was genau dabei im Gehirn passiert, weil die Informationsflüsse im menschlichen Gehirn äußerst schwierig zu erforschen sind.“
Langsame Wellen verstärken Synapsen
Anhand von menschlichem Hirngewebe konnten Geiger und sein Team die Vorgänge aufklären, die mit hoher Wahrscheinlichkeit der Gedächtnisbildung im Tiefschlaf zugrunde liegen:
Den Erkenntnissen zufolge beeinflussen die langsamen Erregungswellen die Stärke der synaptischen Verbindungen zwischen den Nervenzellen in der Hirnrinde – und damit deren Aufnahmefähigkeit.
Für die Studie untersuchte das Forschungsteam intaktes Gewebe aus der Hirnrinde von 45 Patient*innen. Sie hatten sich an der Charité, dem Evangelischen Klinikum Bethel oder dem Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf einem neurochirurgischen Eingriff zur Behandlung einer Epilepsie oder eines Hirntumors unterzogen.
Die Wissenschaftler*innen simulierten in dem Gewebe die Spannungsschwankungen, die für langsame Wellen im Tiefschlaf typisch sind. Anschließend maßen sie die Reaktion der Nervenzellen. Dazu verwendeten sie feinste Glaspipetten, die sie nanometergenau an einzelne Nervenzellen andockten. Um der Kommunikation mehrerer Neurone im Gewebeverbund zu lauschen, setzten sie 10 „Pipettenfühler“ gleichzeitig ein – eine für diese als Multipatch-Technik bezeichnete Methode besonders hohe Zahl.
Perfektes Timing begünstigt Gedächtnisbildung
Das Forschungsteam fand so heraus, dass die synaptischen Verbindungen zwischen den Neuronen der Hirnrinde zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt während der Spannungsschwankungen maximal verstärkt sind. „Die Synapsen arbeiten am effizientesten, direkt nachdem die Spannung von einem niedrigen Niveau auf ein hohes angestiegen ist“, erläutert Erstautor Franz Xaver Mittermaier. „Innerhalb dieses kurzen Zeitfensters ist die Hirnrinde quasi in einen Zustand der erhöhten Bereitschaft versetzt. Spielt das Gehirn eine Erinnerung genau jetzt ab, wird sie besonders effektiv ins Langzeitgedächtnis überführt. Der Slow-Wave-Schlaf unterstützt die Gedächtnisbildung also offenbar, indem er die Hirnrinde für viele kurze Zeiträume besonders aufnahmebereit macht.“
Möglicherweise lässt sich dieses Wissen nutzen, um die Gedächtnisleistung beispielsweise bei beginnender Vergesslichkeit im Alter zu verbessern. Forschungsgruppen weltweit arbeiten an Methoden, um mit subtilen Stromimpulsen – der transkraniellen Elektrostimulation – oder akustischen Signalen die langsamen Wellen im Schlaf zu beeinflussen. „Aktuell werden solche Stimulationen allerdings mühsam durch Ausprobieren optimiert“, sagt Jörg Geiger. „Hier könnten unsere Erkenntnisse zum perfekten Timing helfen. Sie erlauben es erstmals, die Stimulationsmethoden zur Unterstützung des Gedächtnisses gezielt zu entwickeln.“
Hintergrund: Slow Waves - Langsame Erregungswellen
Slow Waves (auch: Slow Oscillations) sind langsame Erregungswellen im Tiefschlaf. Der Begriff „Deltawellen“ bezeichnet ein bestimmtes Frequenzband im EEG. Er beschreibt damit langsame Erregungswellen, die auch außerhalb des Schlafs im Rahmen von Erkrankungen auftreten können. Er ist insofern ein Überbegriff, wird jedoch teils synonym mit „Slow Waves“ verwendet.
Quelle: Charité – Universitätsmedizin Berlin