
Operationen können die Mobilität im Alter fördern.
Konservativ behandeln oder operieren? Bei Wirbelsäulenerkrankungen stehen Betroffene und Ärzt*innen vor komplexen Entscheidungen. Die Therapie reicht von Physiotherapie und Medikamenten bis zu chirurgischen Eingriffen; jede Option hat eigene Vor- und Nachteile. Mit steigendem Alter erhöht sich das Komplikationsrisiko von Operationen, was oft Ängste vor Nebenwirkungen wie geistigen Einbußen weckt – auf eine OP wird dann manchmal ungeachtet ihrer Chancen verzichtet.
Studie
In diesem Spannungsfeld bewegt sich die Studie CONFESS. Ein interdisziplinäres Team um Privatdozent Dr. Robert Fleischmann von der Universitätsmedizin Greifswald untersuchte, wie Wirbelsäulenoperationen bei älteren Patient*innen die geistige und körperliche Fitness beeinflussen.
In dem Projekt begleiteten Forschende aus Neurologie, Neurochirurgie und Anästhesiologie 99 Patient*innen vor und nach elektiven Wirbelsäulen-Eingriffen mit umfassender Diagnostik. Die Operierten waren zwischen 60 und 89 Jahre alt und litten an chronisch-degenerativen Erkrankungen des unteren Rückens. Untersucht wurden:
- die Denkfähigkeit der Patienten
- Bildgebungsbefunde zu Gefäßen
- Blutwerte und
- Faktoren während der Operation.
Ergebnis: Kein pauschales Risiko für OPs im Alter
Die monozentrische Studie zeigte, dass das postoperative Delir – ein akuter Verwirrtheitszustand – entscheidend für den Zugewinn an funktioneller Unabhängigkeit ist. Sie identifizierte verschiedene Risikofaktoren für das Delir, beispielsweise bestimmte Entzündungswerte.
Fleischmann erklärt: „Tritt das Delir auf, verschlechtern sich Gedächtnis und Aufmerksamkeit oft langfristig. Bleibt es aus, können Operationen im Alter nicht nur Schmerzen lindern und Mobilität wiederherstellen, sondern auch die geistige Leistungsfähigkeit verbessern. Das zeigt, dass funktionelle und kognitive Verläufe eng verbunden sind. Wer wieder gehen und sich bewegen kann, bleibt eher geistig fit.“ Das Delir-Risiko lässt sich durch gezielte Untersuchungen vor einer Operation frühzeitig erkennen; bei gefährdeten Patient*innen kann es durch die Auswahl geeigneter OP-Verfahren, Steuerung der Operationsdauer und Blutdruckführung gesenkt werden – in Greifswald floss diese Erkenntnis in OP-Abläufe ein.
Nach sorgfältiger Risikoabschätzung stellen OPs im Alter also kein pauschales Risiko dar. Sie können vielmehr Aktivität, Schmerzlinderung und die Teilnahme am Leben fördern.
Weitergehende Delir-Forschung
Das Team der Universitätsmedizin Greifswald verfolgt das Thema inzwischen weiter im Detail. Die Forschenden arbeiten an 3 Hauptbereichen.
- Sie untersuchen Medikamente, die einem Delir vorbeugen könnten.
- Zweitens testen sie neue Methoden der Hirnstimulation, um gestörte Gehirnverbindungen nach Operationen zu reparieren.
- Drittens wollen sie Warnsignale wie erhöhte Entzündungswerte im Blut besser nutzen und Computer-Programme entwickeln, die frühzeitig erkennen können, welche Patienten ein hohes Risiko haben.
Riskante Eingriffe vermeiden, notwendige ermöglichen
Für CONFESS erhält Fleischmann, geschäftsführender Oberarzt der Neurologie an der Universitätsmedizin Greifswald, den Theo und Friedl Schöller-Preis 2025. „Der Preis ist eine besondere Anerkennung, weil er das Bewusstsein stärkt, ältere Patienten individuell zu betrachten“, freut sich der 41-Jährige, gebürtig aus Halle/Saale. „Als Neurologe mit Schwerpunkt auf neurodegenerativen Erkrankungen ist mir wichtig, Mobilität und Teilhabe zu erhalten, da sie den Krankheitsverlauf günstig beeinflussen und Chancen eröffnen können.“ Eine personalisierte Risiko-Nutzen-Bewertung, wie sie die Studie entwickelt hat, helfe Chirurgen, riskante Eingriffe zu vermeiden und notwendige zu ermöglichen.
„Das Projekt überzeugte uns in allen Bereichen. Die wissenschaftliche Methodik und die Bedeutung des Themas für die klinische Versorgung älterer Patienten sind herausragend“, sagt Univ.-Prof. Thomas Hillemacher, Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats für den Schöller-Preis. Der Beirat begutachtete 15 eingereichte Arbeiten.
Wirbelsäulenchirurgie soll noch sicherer werden
Die Preisträger hätten sich einem relevanten Thema für Senior*innen gewidmet: dem Wunsch, in schwierigen gesundheitlichen Lagen altersgerecht und ärztlich verantwortungsvoll versorgt zu werden, sagt Rainer Hattenberger vom Stiftungsvorstand der Schöller-Stiftungen. „Wir gratulieren dem Universitätsklinikum Greifswald zu dieser Leistung. Unsere Auszeichnung soll motivieren, das Thema weiter zu vertiefen, damit Wirbelsäulenchirurgie noch sicherer wird und Indikationen bei älteren Patienten unvoreingenommen gestellt werden.“
Hintergrund: Theo und Friedl Schöller-Preis
Das Klinikum Nürnberg schreibt den Theo und Friedl Schöller-Preis seit 2013 jährlich aus. Es prämiert damit gemeinsam mit der Theo und Friedl Schöller-Stiftung Forschungsarbeiten, die die Gesundheitsversorgung älterer Menschen verbessern. Mit 20.000 Euro ist die Auszeichnung die höchstdotierte in der Altersmedizin in Deutschland. Klinikum und Stiftung verliehen den Preis wie jedes Jahr beim Dr.-Theo-Schöller-Symposium im Marmorsaal der Nürnberger Akademie.
Quelle: Paracelsus Medizinische Privatuniversität, Standort Nürnberg


