
Gedanken an das Spenderorgan und den Spender können beglückend sein. Aber sie können auch so belastend sein, dass sie Stressreaktionen hervorrufen.
2023 standen in Deutschland 1094 Patienten auf der Warteliste für ein neues Herz. Dem gegenüber standen nur 330 Herztransplantationen. Man möchte meinen: Wer ein neues Herz transplantiert bekommt, hat doch das Schwerste bereits überstanden.
„Das ist auch der Fall. Allerdings stehen auch transplantierte Patienten nach überstandenem Eingriff vor einer Reihe möglicher Probleme“, erklärt der Transplantationsmediziner Prof. Jan Gummert. „Neben ersten Schwierigkeiten mit der Akzeptanz der medikamentösen Therapie durch Immunsuppressiva gegen Abstoßungsreaktionen des Körpers auf das Spenderorgan, können auch andere körperliche wie auch psychische Leiden hinzukommen, die medizinische Hilfe erfordern. Diese können erst im Zuge der Transplantation entstehen oder noch aus der Phase vor dem Eingriff herrühren.“
Was trägt dazu bei, dass ein Spenderorgan akzeptiert wird?
Welche Faktoren tragen dazu bei, dass ein transplantiertes Herz von der Person, die das Organ empfangen hat, angenommen und von ihr „integriert“ wird? Und welche konkreten körperlichen und psychischen Stressoren lassen sich identifizieren? Diesen Fragen gehen Mediziner, Psychologen und eine Public Health-Expertin am Herz- und Diabeteszentrum NRW Bad Oeynhausen und der Ruhr-Uni Bochum in einer Forschungsarbeit nach.
Genauer in den Fokus ihrer gemeinsamen Forschung nehmen die Wissenschaftler*innen das Phänomen der Spenderperson- und Organgedanken (SPOG).
Organabstoßungsangst, Depression, posttraumatische Belastungsstörung
Die psychischen Leiden bei herztransplantierten Patient*innen können sehr verschieden sein. Sie leiden häufig unter der Angst, dass das Organ abgestoßen werden könnte. Manche haben bereits aufgrund ihrer Grunderkrankung, in der Zeit vor der Transplantation, während ihres Aufenthaltes im Krankenhaus und auf der Intensivstation große Belastungen erlebt und entwickeln infolgedessen eine Depression.
In noch ausgeprägteren Fällen könne es zu einer posttraumatischen Belastungsstörung kommen. Etwa bei der Auseinandersetzung mit der eigenen Sterblichkeit, die bei Herzkranken häufig ist, berichtet Prof. Georgios Paslakis in einem Artikel in Herz heute. Das erfordere eine spezielle Behandlung. Studien zufolge kann eine Depression sogar das Ergebnis der Herztransplantation negativ beeinflussen.
Spenderperson- und Organgedanken: Wann Qual, wann Kraftquelle?
Ein emotionaler Spagat kann für Patient*innen auf der Warteliste für ein Spenderherz oder nach überstandener Transplantation das Nachdenken über den Organspender sein. Das kann so belastend sein, dass es zu psychischen Stressreaktionen kommt – schlimmstenfalls lehnen Empfänger das übertragene Organ sogar ab. Dazu gehören Gedanken über
- das Geschlecht und das Alter des Spenders,
- die Umstände seines Todes oder seine Persönlichkeit,
- die Familiengeschichte, den Beruf, die Religion und gar die sexuelle Orientierung der Spenderperson.
„Das Phänomen der Spenderperson- und Organgedanken haben wir wissenschaftlich untersucht. Vorab stellten wir fest, dass es zu diesem Thema sehr wenig Studien gibt“, erklärt Dr. Katharina Tigges-Limmer. Das klinische Phänomen der Spenderperson- und Organgedanken könne sowohl vor als auch nach einer Transplantation aufkeimen und noch lange danach weiter bestehen bleiben.
„Unklar war bislang auch, ob derartige Gedanken für die Patient*innen eine emotionale Belastung sind – oder ob sie ihnen auch Kraft geben können und den Umgang mit dem Transplantationsprozess erleichtern“, so Tigges-Limmer. Und weiter:
Auf das transplantierte Herz werden häufig vermeintlich wahrgenommene Veränderungen des Charakters und der Persönlichkeit zurückgeführt.
- Diese Gedanken können durchaus beglückend sein. Das Herz werde als Geschenk erlebt und eine dankbare Verbundenheit gegenüber dem Spender könne sich entwickeln, so Tigges-Limmer.
- Manchmal können Spenderperson- und Organgedanken so belastend für Patient*innen und Angehörige sein, dass es zu psychischen Stressreaktionen kommt.
Letzteres wollen die Forschenden in künftigen Studien untersuchen.
Fast jeder Herztransplantierte hat Spenderperson- und Organgedanken
Welche Patient*innen entwickeln diese Gedanken, zu welchem Zeitpunkt tauchen diese Gedanken mit welchen Inhalten und Überzeugungen auf? Und als wie belastend oder bereichernd werden die Gedanken empfunden? Für neue Erkenntnisse durch mehr belastbare Daten zu diesem Thema haben die Forschenden anonym 407 Herztransplantierte am HDZ NRW befragt.
„Wir waren sehr überrascht, wie viele Menschen diese Gedanken überhaupt haben. Vor der Transplantation waren es etwa 40 Prozent der Befragten. Danach aber 91 Prozent. Also fast jeder hat diese Gedanken nach der Transplantation“, berichtet die Public Health-Expertin Dr. Nora M. Laskowski.
Betroffene gaben an, sehr erleichtert zu sein, die OP geschafft zu haben und gegenüber dem Spender eine große Dankbarkeit zu spüren. „Gleichzeitig ist für einige Patienten ein diffuses Schuldgefühl dabei, nämlich: ,Ich darf leben, während jemand anders sterben musste‘“, beschreibt Tigges-Limmer einen häufigen Gedanken bei Herztransplantierten. „Gleichzeitig heißt es aber auch, es stirbt niemand für mich, aber mein neues Glück fußt auf dem Tod, so könnte man es sagen.“
Kliniken bieten Hilfen für Betroffene
Für Betroffene mit Bedarf für professionelle Hilfe gibt es in allen Transplantationszentren in Deutschland psychologische und psychosomatische Dienste. Sie begleiten Patient*innen im schwierigen Prozess der Transplantation.
Aber nicht alle Patient*innen würden diese Hilfe auch in Anspruch nehmen. In einigen Fällen würden die Therapeut*innen auch aktiv Betroffene aufsuchen: Wenn die Behandlungsteams den Eindruck hätten, dass Menschen unterstützt werden müssten – professionelle Hilfe aber von sich aus nicht einforderten, berichtet Dr. Tigges-Limmer.
„Das Ziel muss es sein, die Schwelle der Inanspruchnahme niedrig zu halten. Psychotherapeutische Unterstützung für Menschen vor, während und nach einer Transplantation sei „kein Luxus“, sondern „eine Notwendigkeit, die als selbstverständlich anzusehen ist“, betont die Psychologin. „Doch immer noch hindert das Stigma, das mit der Psychotherapie verbunden ist, Menschen daran, diese Hilfe für sich einzufordern.“ Auch sei eine Refinanzierung dieser notwendigen Arbeit noch nicht gesichert.
Quelle: wi/Deutsche Herzstiftung/Deutsche Stiftung für Herzforschung
Literatur
- Laskowski NM et al. Donor and Donation Images (DDI)—A Scoping Review of What We Know and What We Don’t. J Clin Med 2023; https://doi.org/10.3390/jcm12030952
- Tigges-Limmer K, Laskowski N, Paslakis G. In Gedanken beim Herzspender. HERZ heute 2024; 4: 36-39