Sie sind Apothekerin. Was hat Sie dahin geführt, sich mit ätherischen Ölen zu beschäftigen?
Mich hat eine befreundete Hebamme, die mit ätherischen Ölen arbeitete, dafür begeistert. Ich habe mich dann weitergebildet und selbst angefangen, ätherische Ölmischungen zu erstellen. Ich konnte immer wieder feststellen, dass die Ölmischungen sehr gut helfen können.
Was genau versteht man unter Aromatherapie?
Unter Aromatherapie versteht man die Anwendung von ätherischen Ölen. Um gesund zu bleiben, aber auch um Heilungsprozesse zu unterstützen.
Wir unterscheiden in der seriösen Aromatherapie zwischen Aromatherapie und Aromapflege: Aromatherapie ist Ärzten und Heilpraktikern vorbehalten. Aromapflege wird von darin ausgebildeten Pflegekräften angewendet. In Deutschland wird sehr viel Aromapflege z.B. in Altenheimen und Krankenhäusern oder auch im privaten Bereich eingesetzt. Gerade in der Pflege kann man mit Aromatherapie sehr viel erreichen.
Über welche Wege wirkt die Aromatherapie bzw. Aromapflege?
Der erste Weg geht über das Riechen. Der Riechsinn ist einer der wichtigsten und ursprünglichen Sinne des Menschen. Der Fötus riecht schon ab der 20. Woche. Wir riechen mit jedem Atemzug. Der Weg über den Riechsinn geht direkt über den Riechkolben ins limbische System im Gehirn. Das limbische System beeinflusst auch unsere Emotionen: Wir nehmen einen Duft wahr, können ihn vielleicht nicht benennen, aber er erinnert uns an eine Situation, die wir erlebt haben. Oder wir sagen z.B.: Es riecht wie Salzwasser am Strand.
Der zweite Weg geht über Haut und Schleimhaut. Darüber gelangen die ätherischen Öle auch in tiefere Schichten und Organe. Wenn man beispielsweise den Bauch einreibt, erreicht man den Darm. Reibt man den Brustbereich ein, erreicht man die Bronchien.
Über die Atemwege kommen z.B. Inhalationen zur Anwendung, etwa um die Nase freizumachen bei einer Erkältung. Eingesetzt werden auch Riechstifte, z.B. bei psychischen Dysbalancen, etwa um Angst zu lösen oder Stress zu reduzieren.
Bei der Anwendung über die Haut werden ein paar Tropfen des ätherischen Öls in ein Trägeröl gegeben, z.B. in Mandel- oder Jojobaöl. Normalerweise bleibt man bei einer Dosierung von 1 bis 2 Prozent, bei Kindern etwa 0,5 Prozent.
Wie erkennt man, ob ein ätherisches Öl qualitativ hochwertig ist?
Man erkennt die Qualität an einigen Punkten, die auf dem Fläschchen angegeben sein sollten. Das sind:
- der deutsche und der botanische Name
- das Herkunftsland
- aus welcher Anbauform es stammt (konventioneller, kontrolliert biologischer Anbau oder Wildsammlung)
- Herstellungsform (z.B. Destillation, Extraktion)
Die beste Qualität stammt aus kontrolliert biologischem Anbau oder aus Wildsammlung. In der seriösen Aromatherapie arbeiten wir so gut wie ausschließlich mit natürlichen und nicht mit synthetischen Duftstoffen.
Warum eignen sich synthetisch hergestellte Öle weniger?
Duftstoffe wirken über viele unterschiedliche Rezeptoren, die nicht nur mit dem Riechen zu tun haben, sondern in verschiedensten Geweben des Körpers vorhanden sind. Synthetische Duftstoffe setzen anders an den Rezeptoren an. Ein synthetischer Duftstoff wird nie in der gleichen Qualität wie natürliche die Duftrezeptoren aktivieren.
Eine Pflanze bildet verschiedene Duftstoffe für unterschiedliche Fressfeinde. Wird sie mit Pestiziden behandelt oder gentechnisch verändert, verliert sie diese Fähigkeit. Auch deshalb ist es wichtig, möglichst ätherische Öle aus biologischem Anbau zu verwenden.
Wie werden Aromaöle gewonnen?
Zunächst werden die Pflanzen zu einem bestimmten Zeitpunkt geschnitten und anschließend oft direkt auf dem Feld destilliert.
Bei der Destillation wird mithilfe von heißem Wasserdampf ein Kondensat gewonnen. Dieses fließt dann als eine wässrige Phase in einen weiteren Behälter. Die ätherischen Öle als fettlösliche Komponenten werden anschließend in einer sog. Florentiner Flasche aufgefangen. Das verbleibende Destillationswasser enthält noch die wasserlöslichen Bestandteile eines ätherischen Öls – diese werden als Hydrolat bezeichnet. Mit Hydrolaten kann man sanft therapieren. Sie eignen sich gut für die Anwendung bei Kindern oder z.B. für Umschläge für die Augen. Allerdings sind sie, anders als die ätherischen Öle, nur beschränkt haltbar.
Die zweite Form der Herstellung geschieht über die Extraktion bzw. das Auspressen. Das betrifft v.a. Zitrusöle wie Orange, Limette, Mandarine oder Grapefruit, von denen hauptsächlich die Schale ausgepresst wird.
Eine weitere Form der Gewinnung ätherischer Öle bildet das Extrahieren über ein organisches Lösungsmittel. Dieses Verfahren wird v.a. bei Blütendüften angewendet, z.B. bei kostbaren Ölen wie Rose oder Jasmin. Diese Öle nennt man Absolues.
Und schließlich gibt es noch die relativ neue CO2-Extraktion. Damit lassen sich sehr schöne Extrakte gewinnen, die dem natürlichen Duft der Pflanze sehr nahekommen.
Dorthea Hamm
Dorothea Hamm ist Fachapothekerin für Offizinpharmazie und Naturheilkunde. Sie war fast 40 Jahre lang als Apothekerin in Karlsruhe tätig. Seit 1989 beschäftigt sie sich mit ätherischen Ölen und hat zahlreiche Fortbildungen absolviert, u.a. zum Thema Aromatogramm, der spezifischen Wirkung von ätherischen Ölen auf Keime. In ihrer Apotheke wurden über 15 Jahre Individualrezepturen für Kunden auf der Basis von Aromatogrammen erstellt. Sie ist als Seminarleiterin und Referentin zur Aromatherapie tätig.
Was sind die wichtigsten Einsatzgebiete der Aromatherapie?
Zu den wichtigsten Einsatzgebieten zählt die Raumbeduftung. Hier geht es häufig um Beschwerden wie Schlafstörungen, depressive Verstimmungen, aber auch um Stressreduktion und Entspannung. Dazu gibt es relativ viele Studien.
Auch in der Pflege, in Krankenhäusern oder in der Altenpflege wird Aromatherapie häufig von in der Aromapflege ausgebildeten Pflegekräften angewendet. Einsatzgebiete sind hier z.B. auch die Wundheilung, indem die Haut stabilisiert wird, oder um Muskelverspannungen zu lösen. Viele Öle haben antibakterielle und antimykotische Eigenschaften.
Ein weiterer Aspekt, dem leider noch viel zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird, sind die antibiotischen Effekte ätherischer Öle: Eine Arbeit hat gezeigt, dass ätherische Öle die Wirkung von Antibiotika verstärken können. Die Öle können die Wirkung von Antibiotika unterstützen, indem sie die Resistenzmechanismen der Bakterien reduzieren und verhindern. Das ist leider noch viel zu wenig bekannt. Hier liegt großes Potenzial im Hinblick auf resistente Keime, die heute in Kliniken ein zunehmendes Problem sind.
Ich kenne einige Kliniken, die ätherische Öle bereits anwenden, und das durchaus erfolgreich. Krankenhäuser dürfen allerdings nur Öle verwenden, die nach dem Arzneibuch zugelassen sind. Das sind meistens keine biologischen Öle. Den Herstellern guter biologischer Öle in Deutschland ist die Anmeldung nach dem Pharmaverfahren meist zu teuer. Und Studien in Krankenhäusern scheitern häufig an den damit verbundenen immensen Kosten. Das kenne ich auch aus eigener Erfahrung. Ich finde diese Situation sehr frustrierend.
Sie haben in der Apotheke mit Aromatogrammen gearbeitet. Was versteht man darunter?
Das bedeutet, dass wir auf Basis einer Keimuntersuchung Ölmischungen herstellen können. Im Labor werden dazu Abstriche auf ihre Keime untersucht und welche ätherischen Öle gegen diese Keime wirksam sind. Anhand der Untersuchungsergebnisse können dann gezielt Ölmischungen erstellt werden.
Gibt es bestimmte Öle, die antibiotische Effekte haben?
Das betrifft sanfte Öle, die relativ viele Wirkstoffe enthalten, die als Monoterpenole bezeichnet werden, z.B. aus Rose, Rosengeranie, Neroli oder Palmarosa. Aber auch weniger sanfte Öle z.B. aus Thymian, Oregano oder Bergbohnenkraut, die relativ stark wirkende Inhaltsstoffe enthalten, die als Monoterpen-Phenole bezeichnet werden. Auch für Lavendel sind Effekte beschrieben, Antiobiotika-Resistenzen zu reduzieren.
Was sollte man beachten, wenn man Aromaöle praktisch anwendet? Gibt es Gegenanzeigen?
Ätherische Öle sollten nie pur auf die Haut gebracht werden. Und es sollte unbedingt die Dosierung eingehalten werden: Etwa 1 bis 2 Prozent sind meist ausreichend, bei Kindern 0,5 Prozent.
Bei Neugeborenen und alten Menschen muss man sehr vorsichtig sein, weil die Haut noch oder wieder sehr empfindlich ist. Auch bei verletzter Haut ist Vorsicht geboten.
Bei Schwangeren und Kindern sollten bestimmte Öle, die viele Monoterpenketone enthalten, nur sehr vorsichtig angewendet werden. Das betrifft z.B. Kampfer, Salbeiöl oder auch das Thymianöl.
Und manche Öle, z.B. auch wieder das Thymol aus dem Thymian, sollte man nicht länger als 6 Wochen anwenden. Generell gilt: Jedes Öl, das man dauerhaft anwendet, kann Allergien auslösen.
Haben Sie Beispiele, welche Öle in der Pflege gut eingesetzt werden können?
Ich habe sehr lange Pflegekräfte unterrichtet und sie haben mir immer wieder über ihre guten Erfahrungen mit Vanilleöl in der Altenpflege berichtet. Vanilleöl ist ein sehr sanftes, weiches Öl. Es kann besonders gut demente Menschen, die oft unruhig sind, wieder normalisieren. Gute Erfahrungen gibt es auch mit Raumbeduftung tagsüber mit anregenden Ölen wie Zitrone, Grapefruit, Wacholder oder Rosmarin. Da spüren die Menschen: Jetzt ist Tag und sie sind auch aktiver. Abends oder zur Nacht eignen sich Düfte wie Lavendel, Mandarine oder Tonka, die eher entspannend wirken.
Auch bei chronischen Schmerzen können ätherische Öle eine gute Unterstützung sein: Etwa bei Schmerzpatienten, die sich nicht mehr berühren lassen, weil jede Berührung schmerzt, kann man mit ätherischen Ölen eine Entspannung erreichen und die Schmerzrezeptoren positiv beeinflussen.
Wie ist die Studienlage zu ätherischen Ölen?
Dazu existieren immer mehr wissenschaftliche Untersuchungen. Für das Jahr 2023 sind auf PubMed rund 3300 Studien zum Thema ätherische Öle auffindbar, davon 65 aus dem klinischen Bereich. Die Einsatzbereiche sind ausgesprochen vielfältig: z.B. zur Beruhigung bei Demenz, bei Parodontitis, bei Schlafstörungen, bei Herzsymptomen usw.
Haben Sie ein Beispiel?
Es gibt eine Untersuchung, die in einem Pflegeheim in Mecklenburg-Vorpommern gemeinsam mit der Barmer Ersatzkasse und der Berufsgenossenschaft durchgeführt wurde. Darin hat man festgestellt, dass allein durch die Anwendung von ätherischen Ölen in Form einer Raumbeduftung das Personal um 25 Prozent seltener krank war. Bei den Heimbewohnern konnten die Psychopharmaka um ein Drittel gesenkt werden.
Was würden Sie empfehlen, wenn man in die Aromatherapie oder Aromapflege einsteigen möchte?
Für den Einstieg gibt es gute Bücher auch für Laien, z.B. von Anusati Thumm, Katharina Zeh, Sabrina Herber oder Eliane Zimmermann. Man kann beispielsweise mit Aromapflege für zuhause oder auch Aromatherapie für Frauen starten. Die Autorinnen Monika Werner, Ruth von Braunschweig und Eliane Zimmermann haben empfehlenswerte Bücher zu Aromatherapie und Aromapflege verfasst, wenn man tiefer einsteigen möchte.
Aber wenn man seriös damit arbeiten möchte, z.B. im Pflegebereich, ist es wichtig, eine Fortbildung zu absolvieren. An einem Tag kann man die Aromatherapie nicht erlernen. Man sollte auch die Grundlagen beherrschen und nicht nur die Rezepturen. Eine seriöse Fortbildung umfasst rund 200 Stunden.
Haben Sie eine persönliche Lieblingsrezeptur, die Sie oft einsetzen?
Ja, ich habe ein Lieblingsrezept, das ich sehr oft einsetze und das mir eigentlich nie ausgeht. Es ist eine eher medizinische Ölmischung als eine wohlriechende Wohlfühlrezeptur.
Diese Ölmischung ist sehr vielseitig: Reibt man abends die kalten Füße damit ein, werden sie warm. Bei Muskelverspannungen, Hexenschuss oder Arthrose lindert sie Schmerzen und fördert die Durchblutung.
Ölmischung zur Durchblutungsförderung und Schmerzlinderung
- 50 ml Johanniskrautöl
- 20 Tropfen Angelika
- 10-15 Tropfen Bergamotte
- 3 Tropfen Muskatellersalbei
- 1 Tropfen Tonka (oder alternativ: Jasmin bzw. Benzoe)
Anwendung: Die betroffenen schmerzenden Stellen mit der Ölmischung einreiben.
Das Interview führte Anke Niklas.