von Zheng Zhang
Kurz gefasst
- Bei einem Piriformis-Syndrom führen Fehlspannungen der Gesäßmuskeln zu einer Nervenkompression, insbesondere des Nervus ischiadicus, mit ausstrahlenden Schmerzen in Gesäß und dorsalen Oberschenkel.
- In der TCM gelten Wind, Kälte, Feuchtigkeit, Verletzungen und Fehlbelastungen als Hauptursachen, mit dem Ergebnis von Wind-Kälte sowie Qi- und Blutstagnation.
- Im vorgestellten Fall konnte ein Piriformis-Syndrom mit Schmerzen und Parästhesien mittels Akupunktur von A-Shi- und Fernpunkten sowie blutigem Schröpfen erfolgreich behandelt werden.
Seit 8 Monaten leidet der Patient, Mitte 30, unter einem linksseitigen Piriformis-Syndrom. Er arbeitet häufig im Stehen und spielt in der Freizeit ambitioniert Tennis. Zu Beginn der Beschwerden spürte er plötzlich einen stechenden Schmerz in der linken Gesäßhälfte, der sich im Lauf der Zeit zunehmend verschlimmerte. Er strahlt in die Rückseite des linken Oberschenkels aus (Gebiet des Akupunkturpunktes Tai Yang) und tritt besonders beim Gehen und Treppensteigen auf. Daneben spürt er auch Taubheitsgefühle und Kribbeln in der linken Körperhälfte. Wenn er dann einige Zeit die Muskulatur entlastet, verbessern sich die Schmerzen, verschwinden aber nicht komplett. Sobald er wieder Sport treibt oder körperlich mehr arbeitet, kehren die Beschwerden schnell wieder zurück. Ein MRT schloss einen Bandscheibenvorfall aus.
Die bislang verordneten Schmerzmittel und Antirheumatika brachten wenig Erfolg, weshalb der Patient nun eine Alternativtherapie sucht.
Seine Zunge zeigt sich in der Untersuchung rot und der Puls saitenförmig, was für Hitze spricht. Die Untervenen sind dick geschwollen (Hinweis auf Blutstagnation).
TCM-Diagnose: Hitze mit Qi- und Xue-Stagnation im Blasenmeridian
Nach ausführlicher Diagnostik (unter anderem Betrachten und Betasten der betroffenen Regionen des Patienten, Erfragen der Krankheitsgeschichte, Puls-, und Zungendiagnose) und dem Ausschluss akuter Erkrankungen stelle ich die Diagnose: Hitze durch Überanstrengung mit Qi- und Xue-Stagnation im Blasenmeridian (Tai Yang Meridian) und Gallenblasenmeridian (Shao Yang Meridian). Durch Beruf und Sport kam es offenbar zu einer Überlastung des M. piriformis mit kleinen Verletzungen und Entzündungen. Letztere werden in der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) als „Feuer“ oder „Hitze“ angesehen, die wiederum zu einer Qi- und Blutstagnation führen, wenn die Entzündung chronifi-ziert. Für beides sprechen auch die Befunde von Zunge und Puls. Die Behandlung hat nun zum Ziel, die Hitze aus dem Tai Yang Meridian zu beseitigen und dabei Qi und Xue (Blut) wieder in Bewegung zu bringen.
Fehlbelastung, Traumata, klimatische Faktoren: Ätiologie in der TCM
Aus Sicht der TCM werden alle Erkrankungen des Bewegungsapparats unter dem Begriff des „Bi-Syndroms“ zusammengefasst. Dabei kommt es definitionsgemäß zu schmerzhaften Obstruktionssymptomen von Qi und Blut im Gelenk-, Muskel- und Sehnenbereich. Dies gilt auch für das Krankheitsbild des Piriformis-Syn-droms. Hierbei unterscheidet die TCM potenziell krankmachende klimatische Faktoren: Wind, Hitze, Kälte und Feuchtigkeit (im Sinne der TCM). Diese dringen in den Körper ein und blockieren das Meridiansystem. Daraus folgt eine Schwächung des Abwehr-Qi, auch Wei-Qi genannt.
Hintergrundwissen
Piriformis-Syndrom: Pathogenese, Klinik, Therapie
Beim Piriformis-Syndrom führt eine Fehlspannung des zu den Gesäßmuskeln zählenden Musculus piriformis zu einer Nervenkompression, insbesondere des Nervus ischiadicus, im Bereich des Foramen infrapi-riforme mit lokalen Muskelschmerzen. Dies führt zu ausstrahlenden einseitigen Schmerzen – verstärkt bei (Dreh-)Bewegungen – in den Versorgungsgebieten dieser Nerven, insbesondere Gesäß und dorsalem Oberschenkel bis zur Kniekehle. Auch Sensibilitätsstörungen in den Beinen können auftreten.
Zur Behandlung des Piriformis-Syndroms kommen konventionell Analgetika, Antirheumatika, Massage und Physiotherapie zur Anwendung – allerdings nicht immer erfolgreich, wie der vorgestellte Fall zeigt. Unter den nichtmedikamentösen Verfahren stellt die Körperakupunktur eine bedeutende Alternative dar. Der rasche Wirkeintritt – oft nur wenige Minuten später – und der differenzierte Einsatz für die Akutbehandlung sowie die Prophylaxe geben Therapeuten ein effektives Instrument an die Hand, um rasch und medikamentenfrei behandeln zu können.
Dabei bewegt sich der Wind und ändert sich fortlaufend, was zu einem wandernden Bi-Syndrom führt. Die Kälte verknotet das Qi und Blut in den Muskeln und ist schwierig aufzulösen. Dies führt zu einem starken schmerzhaften Bi-Syndrom. Den letzten pathogenen Faktor stellt die Feuchtigkeit oder Nässe dar. Sie sammelt sich in den Gelenken und führt zu Ödemen und Schwellungen. Aus einem längeren Bestehen der 3 beschriebenen pathogenen Einflüsse kann der 4. Faktor, die Hitze, entstehen, woraus wiederum das Hitze-Bi resultiert. Diese Faktoren blockieren den Tai Yang Meridian, sodass Gesäßschmerzen entstehen (die Meridianblockade führt zur Unterversorgung der Muskeln, wodurch Verkrampfung oder Schmerzen entstehen).
Ein weiterer Grund für die Entwicklung eines Piriformis-Syn-droms aus Sicht der TCM sind Traumata. So kann es nach einem Auffahrunfall, bei dem die Beckenmuskulatur in Mitleidenschaft gezogen wird, häufig zu einer Quetschung des Ischiasnervs kommen. Aber auch starke Stöße oder Schläge auf Hüfthöhe können den Nerv bereits so weit komprimieren, dass er seine normale Funktion nicht mehr ausüben kann. Bei Sportlern treten solche Verletzungen gehäuft auf. Die TCM geht hier von einer Blutstagnation im Blasenmeridian aus. Auch Blutergüsse und andere Verletzungen können zu einer lang andauernden Behinderung der Blutzirkulation führen. Der Patient verspürt chronische, dumpf-stechende Schmerzen. Die Zunge ist bläulich, die Zungenuntervenen sind dick und angestaut.
Die 3. häufige Ursache eines Piriformis-Syndroms ist aus Sicht der TCM Fehlbelastung oder Überlastung: Bei einer übermäßigen Beanspruchung der Muskulatur, zum Beispiel zu schnellen Bewegungen oder zu hohen körperlichen Anstrengungen des M. piriformis kann es zum Hitze-Bi-Syndrom kommen. Schmerz und Hitze in der Gesäßhälfte sind ausschlaggebend dafür. Der Muskel ist dabei meist rot und deutlich geschwollen, die Beweglichkeit eingeschränkt. Es besteht starker Schmerz, der sich bei Wärme verschlimmert, bei Kälte und Ruhe allerdings verbessert. Der Patient neigt zu Schwitzen, einer erhöhten messbaren Temperatur und zeigt einen schlüpfrigen und schnellen Puls.
Therapieprinzip: Wind-Kälte oder -Hitze ausleiten, Qi- und Blutstagnation beseitigen
Im Rahmen der Therapie gilt es, pathologische Faktoren wie Wind-Kälte oder Wind-Hitze auszuleiten sowie das Qi und die Blutstagnation aus dem betroffenen Meridian zu beseitigen. Im vorgestellten Fall eignen sich sowohl Körperakupunktur als auch blutiges Schröpfen. Um die Therapie zu beschleunigen, entscheiden wir uns für beides.
Therapie: Blutiges Schröpfen und sedierende Akupunktur
Das Ba-Guan-Fa-Schröpfen dient im Westen wie auch in China gleichermaßen zur Anregung von Immunsystem, Stoffwechsel und Lymphfluss. Besonders hat es sich in der TCM bei Blut- und Qi-Stagnation bewährt. Auch bei einem Supinationstrauma, das häufig durch Qi- und Blutstagnationen hervorgerufen wird, ist es eine gut anwendbare Therapieform.
Reminder
Prozedere: Blutiges Schröpfen
Blutiges Schröpfen bietet sich insbesondere als sedierende, energie-ableitende Methode an. Hierbei wird nach gründlicher Hautdesinfektion mit einer sterilen Hämolanzette oder Kanüle die Epidermis in dem zu behandelnden Bereich mehrfach oberflächlich punktiert. Zur Erleichterung schiebt dabei die freie Hand zuvor das betreffende Hautareal zu einem Wulst zusammen. Nach dem folgenden Aufsetzen der Schröpfköpfe tritt an den Einstichstellen Blut aus, das schnell gerinnt. Nach 10–15 min werden sie entfernt sowie die geschröpften Hautareale mit sterilen Kompressen gereinigt, mit einer Lymphsalbe nachbehandelt und mit einem Kompressenverband versorgt. Wichtig: Blutiges Schröpfen muss mit autoclavierten Schröpfgläsern oder mit sterilen Einwegschröpfgläsern durchgeführt werden.
Die Akupunktur unterscheidet insbesondere zwischen tonisie-renden (kräftigenden) und sedierenden (ausleitenden) Techniken. Für die Auswahl der Punkte spielt traditionell – im Unterschied zur rein symptomatisch orientierten Akupunktur – neben dem Krankheitsbild auch dessen Entstehung eine zentrale Rolle. An den behandelten Punkten werden die Sauerstoffzirkulation und Durchblutung sowie natürliche Heilungsprozesse (auch des Gewebes) angeregt.
Ich wähle sogenannte A-Shi-Punkte mit sedierender Technik, hier: Bl 23–30 und Gb 30. A-Shi-Punkte spielen in der Akupunkturbehandlung des Bi-Syndroms eine wichtige Rolle. Sie reagieren bei der Palpation am schmerzempfindlichsten. Zudem sind die Fernpunkte von Bedeutung. Sie „öffnen“ den Meridian, beseitigen Qi-Stagnation und unterstützen das Vertreiben pathogener Faktoren. Sie werden im Akutfall sedierend, in chronischen Fällen neutral genadelt. Hierbei wähle ich Bl 40, Bl 60, ExUe 7, Di 4, Dü 3, Gb 34 und One Point: Dü 3.
Es folgt 2-mal wöchentlich eine Akupunkturbehandlung. Einen dieser Termine kombiniere ich jeweils mit dem blutigen Schröpfen (siehe Kasten) im Bereich von Gb 30. Der Patient spricht prompt auf die Behandlung an. Die Gesäßschmerzen nehmen kontinuierlich an Intensität und Häufigkeit ab. Nach 8 Sitzungen spürt er nur noch leichte Schmerzen, die durch Belastung hervorgerufen werden. Nach 15 Sitzungen kann er wieder schmerzfrei normal belasten. Abschließend empfehle ich als Nachsorge Massage und das Vermeiden einseitiger Belastung.
Fazit: Akupunktur und Schröpfen als kausale und nachhaltige Methoden
Die Schulmedizin beschränkt sich in der Behandlung des Pirifor-mis-Syndroms auf die Gabe starker Schmerzmittel beziehungsweise Antirheumatika. Mit diesen lassen sich jedoch allenfalls die akuten Schmerzen lindern, Chronifizierungen aber nicht verhindern. Die TCM stellt zur derzeitigen naturwissenschaftlich-technologisch hoch qualifizierten westlichen Medizin eine hervorragende Ergänzung dar. Die Akupunktur und das Schröpfen dienen im Wesentlichen dazu, den Energiefluss des Körpers wieder zu normalisieren, in gerichtete Bahnen zu leiten und ihn bei der Selbstheilung zu unterstützen – mit kausaler Therapie und langfristigen Wirkungen.
Autorin
Dr. Zheng Zhang
Ärztin für Traditionelle Chinesische Medizin
Interessenkonflikt: Die Autorin gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.