HistaminunverträglichkeitHistaminintoleranz: Diagnostik und Therapie

Wie die Diagnose gestellt wird, welche Therapieschritte erfolgen und wie die dauerhafte Ernährungsumstellung hilft, erklärt Dr. Daniela Oltersdorf.

Inhalt
Verträgliche Nahrungsmittel bei Histaminintoleranz: u.a. Pak Choi, Macadamianüsse, Eier, Quark, Nudeln, Brombeeren, Aprikosen
A. Rogge und J. Jankovic/Thieme

Verträgliche Nahrungsmittel bei Histaminintoleranz (Auswahl).

Diagnose einer Histaminintoleranz

Die Diagnose der Histaminintoleranz ist schwierig und die Diagnosestellung häufig fraglich. Aus folgenden Gründen:

  • Eindeutige Symptome fehlen.
  • Zuverlässige Biomarker, Haut- oder Labortestes existieren derzeit nicht. 
  • Gegenwärtig gibt es keine routinemäßige etablierte Provokationsmodelle.

Es existieren damit keine objektiven diagnostischen Tests, die eine Unverträglichkeit gegenüber oral aufgenommenem Histamin beweisen. Bluttests zur Bestimmung der DAO oder des Histamins sind nicht aussagekräftig.

Umfangreiche Anamnese

An oberster Stelle steht deshalb eine umfangreiche Anamnese. In einem Gespräch werden die Ernährungsgewohnheiten, Symptome und Beschwerden abgefragt. Dazu gehören u.a. Rotweinunverträglichkeit, Migräne, laufende Nase nach dem Essen, Lidschwellungen, Asthma, Durchfall und niedriger Blutdruck (Hypotonie), alles im Zusammenhang mit der Nahrungsaufnahme.

Daher sind Ernährungsprotokolle, die der Patient bzw. die Patientin führt, sehr hilfreich. Hier können sich z.B. Beschwerden nach dem Genuss von gereiftem Käse, Rotwein oder geräuchertem Fisch zeigen, die jedoch sehr breit gefächert sind.

Selbstverständlich sollen andere Differentialdiagnosen wie Nahrungsmittelallergien, Magen-Darm-Erkrankungen, Laktoseintoleranz oder Fructosemalabsorption ausgeschlossen werden. 
Oft haben sich Patienten*innen bereits pauschale Diäten auferlegt, die die Gefahr der Nährstoffdefizite und unnötige Einschränkung von der Lebensqualität bergen.

Auch die Einnahme von Medikamenten sollte abgefragt werden. Bestimmte Medikamente hemmen die DAO-Aktivität. Dazu gehören u.a.: Acetylcystein, Ambroxol, Amitriptylin, Metoclopramid, Metamizol.

Die Diaminooxidase (DAO) kann im Blut bestimmt werden. Dazu müssen eine Woche vor der Blutabnahme Antihistaminika abgesetzt werden. Außerdem dürfen keine stark histaminhaltige Speisen konsumiert werden. Weiterhin ist der Genuss von Alkohol zu meiden, da er die DAO hemmt. Hohe Biotinspiegel können durch Testinterferenzen zu falsch-niedrigen DAO-Werten führen.

3-phasiges Vorgehen

Nun folgt ein 3-phasiges Vorgehen:

  1. Diagnostische Eliminations-Diät: Für 2 Wochen erfolgt eine histaminfreie Diät (Weglass-Versuch). Diese Diät ist an einer gemüsebetonten Vollkost orientiert. Zudem soll ein Beschwerdeprotokoll davor und nach der Diät ausgefüllt werden. 
  2. Kostaufbau oder Provokation: Im Anschluss erfolgen Kostaufbau oder Provokation. Hier werden histaminreiche Speisen in kleineren Mengen probiert. Es empfiehlt sich, nur jeden 3. Tag ein neues Lebensmittel auszuprobieren, damit die Beschwerden sich auch direkt zurückführen lassen. Das sollte am besten mittels Ernährungs- und Beschwerdeprotokoll dokumentiert werden.
  3. Dauerernährung: Eine individuelle und ausgewogene Ernährung mit möglichst wenigen Einschränkungen. Bei der Dauerernährung sollten individuelle Triggerfaktoren berücksichtigt werden. Ich empfehle meinen Patienten*innen, die Lebensmittel wieder einzuführen, die ihnen besonders wichtig sind. Denn bei einer „Dauer-Diät“ ist die Zufriedenheit entscheidend, sonst wird sie nicht lange durchgehalten und die Beschwerden kehren aufgrund von Diätfehlern zurück. Sind manche Lebensmittelgruppen oder Lebensmittel dauerhaft nicht möglich, z.B. fetter Seefisch oder nährstoffreiche Nüsse, sollte darüber gesprochen werden. Dann sind ggf. Nahrungsergänzungsmittel notwendig, um mögliche Defizite zu decken.

Therapie bei Histaminintoleranz

Steht die Diagnose der Histaminintoleranz, gilt es, alle Lebensmittel, die Histamin oder biogene Amine enthalten oder als Histaminliberatoren fungieren, zunächst auszusortieren. Die häufigsten Auslöser von Beschwerden sind:

Histaminhaltige Lebensmittel, die oft Beschwerden auslösen

  • Alkoholische Getränke, insbesondere Rotwein
  • Käse, v.a. gereifte Sorten, Hartkäse wie Emmentaler oder Parmesan. Butterkäse oder Frischkäse werden meist vertragen.
  • Dunkle Schokolade, da der Kakao Amine enthält, nicht jedoch die Kakaobutter. Es kann auf weiße Schokolade oder Hafer- und Reisschokolade ausgewichen werden.
  • Rohwürste, Salami, Roher Schinken. Alle geräucherten Wurstwaren. 
  • Nüsse (Walnüsse, Haselnüsse, Erdnüsse). Pistazien, Macadamia und Kürbiskerne gehen.
  • Fisch (Achtung Kühltheke, bestimmte Sorten, die im Warmwasser heimisch sind, Muscheln, Krustentiere)
  • Tomaten, Sauerkraut, Spinat, Rucola, Aubergine, Knoblauch, Zwiebeln
  • Essig, v.a. Balsamessig
  • Zitrusfrüchte, Kiwi, Erdbeeren, Ananas, Himbeeren, Banane, Papaya
  • Verdickungsmittel wie Guarkernmehl, Johannisbrotkernmehl
  • Gekeimte Getreide wie Backmalz oder Gerstenmalzextrakt; Weizenkeimlinge
  • Hülsenfrüchte wie Soja, Erbsen, Bohnen und Linsen

Zusätzlich kann zur Behandlung DAO als Kapsel vor möglichen histaminreichen Mahlzeiten (unterwegs) eingenommen werden. Ein Antiallergikum, also ein Antihistaminikum, kann bei Beschwerden ebenfalls sinnvoll sein. Zudem empfehle ich bei Beschwerden die Einnahme von Vitamin C zur Oxidation von Histamin. 

Durch die eingeschränkte Ernährungsweise kann es sinnvoll sein, das Blut auf einen Nährstoffmangel zu überprüfen. Im Fokus stehen hier v.a. die Mineralstoffe, die zum Abbau von Histamin nötig sind bzw. zur Stabilisierung der Mastzellen, die Histamin speichern.

Für die Dauerernährung habe ich eine Austauschliste zusammengestellt, die die Ernährung erleichtern soll.

Austauschliste für Lebensmittel

  • Fisch: Ohne Kopf und Gräten verwenden. Am besten so frisch, dass man das Meer rauschen hört oder fangfrisch tiefgefroren, nie aus der Kühltheke! Keine Fischsorten verwenden, die in warmen Gewässern heimisch sind, so zum Beispiel Thunfisch oder Muscheln. Keinen geräucherten Fisch.
  • Fleisch: Wenn es frisch ist, wird es eigentlich immer gut vertragen. Fleisch immer am Stück kaufen, direkt vor dem Essen beim Metzger wolfen oder schneiden lassen oder gleich vom Bauernhof/Hofladen nach der Schlachtung kaufen. Brühwurst und gekochter Schicken werden gut vertragen.
  • Gewürze: Gewürzregal aussortieren und nur noch die Gewürze belassen, die verträglich sind. Frische Kräuter in Töpfen in die Küche stellen.
  • Gemüsebrühpulver: Selbst herstellen oder ein geeignetes ohne Zwiebeln oder Knoblauch kaufen. 
  • Gewürzmischungen und Salatsoßenpulver: Alle Zutaten kontrollieren oder neue Mischungen selbst herstellen. 
  • Fertige Müslimischungen: Diese am besten selbst herstellen. Verträgliche Trockenfrüchte (wie Datteln, Äpfel, Rosinen) und verträgliche Nüsse verwenden. Nüsse und Samen selbst mahlen. Achtung: In Fertigprodukten ist oft Gerstenmalzextrakt enthalten. 
  • Müsliriegel oder Energiekugeln: Hier gilt das gleiche, wie bei der Müslimischung. Es lohnt sich, zuckerfreie Riegel selbst zuzubereiten oder ganz einfach, eine eigene Müslimischung mit Pistazien- oder Kürbiskernmus sowie Butter zu Riegeln zu verarbeiten.
  • Marmeladen: Verträgliche Sorten aussuchen und auf Zutaten achten. Kein Zitronensaft oder -säure. 
  • Margarine: Kontrollieren, ob Sonnenblumenöl oder Soja verwendet werden. Besser reine Butter, Butterschmalz oder Ghee verwenden.
  • Sahne: Pflanzliche Sahne (auf Zusätze achten) oder Bio-Sahne ohne Carrageen. 
  • Milch (falls man keine mag): Hafer-, Kokos, Reisdrink, gerne mit Calcium (die „Barista Version“ lässt sich am besten aufschäumen!). Keine Sojamilch. 
  • Käse zum Überbacken: Veganer Parmesan, Käseersatz oder angedickte pflanzliche Sahne. Butterkäse und Mozzarella austesten.
  • Geriebener Parmesan: Parmesanersatz, geschälte Hanfsamen oder geröstete, gemahlene Pistazien sowie Macadamia über die Nudeln geben. 
  • Saure Sahne: Mehl-Butter oder vegane Streichcreme (Hafercreme).
  • Ketchup: Kürbisketchup, Ajvar, Hagebuttenmark.
  • Tomatensoße: Paprika passiert. Alternativ Ajvar mit Wasser oder Brühe verdünnt (Brühwürfel ohne Hefe). Babygläschen aus püriertem Hokkaido-Kürbis, Möhre, Butternusskürbis oder Süßkartoffel. 
  • Balsam Essig: Verjus, Muttersäfte aus Heidelbeeren, Johannisbeeren, Cranberry oder Granatapfel. Verdünnte Essigessenz oder Branntweinessig kann später getestet werden.
  • Spinat: Pak Choi oder Feldsalat.
  • Soja Soße: Coco aminos.
  • Rucola: Radicchio oder anderen Bittersalat.
  • Zitronensaft: Verjus, ein paar säuerliche Früchte wie Johannisbeeren und Physalis oder Muttersäfte wie Granatapfel.

Erkrankungen, bei denen Histamin eine Rolle spielt

Erhöhte Histaminspiegel in Kombination mit erniedrigter DAO-Aktivität wurden bei verschiedenen entzündlichen und neoplastischen Darmerkrankungen wie Morbus Crohn, Colitis ulcerosa, allergischen Enteropathie, Nahrungsmittelallergien, kolorektalen Polypen und Karzinomen nachgewiesen.

Bei Morbus Crohn werden durch die Immunbotenstoffe u.a. histaminhaltige Mastzellen, endokrine histaminhaltige Zellbestandteile im Darm und Granulozyten indirekt aktiviert. Bei der Colitis ulcerosa sogar direkt. Ein Schaden der Darmschleimhaut kann so zu einem gestörtem Histaminmetabolismus führen. Bei entsprechend schwerer Entzündung betrifft die Erhöhung der Histaminkonzentration auch das Blut. Sodass hier eine histaminarme Ernährung sehr sinnvoll erscheint!

Beim Reizdarmsyndrom hat der Botenstoff Histamin einen entscheidenden Einfluss, denn er wird durch Stress freigesetzt.

Im Urogenitaltrakt kann Histamin zu Beschwerden und Krankheitsbildern führen. Im weiblichen Genitaltrakt werden v.a. in Mastzellen, Endothel- und Epithelzellen in Uterus und Ovar Histamin produziert und so kann es zu zyklusabhängigen Kopfschmerzen und Dysmenorrhoe bei Histaminintoleranten kommen. Patientinnen mit einer Dysmenorrhoe können von einer histaminarmen Kost profitieren, da Histamin zur Kontraktion (Zusammenziehen) von glatter Muskulatur dient und so die Dysmenorrhoe verstärkt. Es wird vermutet, dass sich zum Zeitpunkt der Periode die Diaminoxidase reduziert, damit das Histamin am Uterus agieren kann.

Dazu passt auch die erhöhte Empfindlichkeit von Asthmapatientinnen zum Zeitpunkt der Periode. So kann es hilfreich sein, 2-3 Tage vor der erwartenden Periode ein Antihistaminikum einzunehmen!

Bei der chronischen Urtikaria kommt auch das Histamin ins Spiel, denn die Beschwerden sind größtenteils auf die Wirkung von Histamin zurückzuführen. Histamin wird durch eine Fehlreaktion der Hautmastzellen freigesetzt, dockt an Blutgefäße und Nerven der Haut an und reizt diese. Mittel der ersten Wahl sind Antihistaminika, die nicht müde machen. Begleitend sollte eine histaminarme Diät gemacht werden, denn allein dadurch geht es ¾ aller Patient*innen signifikant besser.

Dr. med. Daniela Oltersdorf ist Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe, Ernährungsmedizinerin und Buchautorin. Sie ist in eigener Praxis in Calw mit dem Schwerpunkt Ernährungsmedizin niedergelassen.

www.ernaehrungsmedizinoltersdorf.de

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